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Kostümbild – Der Stoff, aus dem die Kinoträume sind

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Visual & Special Effects – Der Griff in die Trickkiste

Eins seltsames Wesen

Wie die Maskenbildnerin Julia Lechner ein menschliches Tippkick-Männchen schuf

„Ich kann keine Maske für jemanden entwerfen, der das durch sein Spiel nicht unterstützt. Aber bei Eckhard Preuß war immer klar, dass er sich in ein Tippkickmännchen verwandeln kann.”

 

 

Interview mit Julia Lechner

AUS DER TIEFE DES RAUMES, eine Fußball-Komödie des Regisseurs Gil Mehmert, basiert auf einer bizarren Idee: Durch einen Unfall mit Wasser, Strom und einigen Chemikalien wird ein Tippkick-Männchen plötzlich in einen Menschen verwandelt, der perfekt Fußballspielen kann und später als Günther Netzer berühmt wird. Für die junge Maskenbildnerin Julia Lechner war dieser Film der erste Auftrag nach der Ausbildung. Es galt, einem echten Menschen wieder das Aussehen einer bemalten Blechfigur zu verpassen – eine Herausforderung an die Maske, die sie mit viel Kreativität gemeistert hat.

Die Szene
Ein bleicher und sehr steifer junger Mann (Eckhard Preuß) mit einem roten Knopf auf dem Kopf irrt durch den Wald. Bei einer Begegnung mit Holzfällern wird der Knopf zufällig abgesägt. Danach trifft er einen ebenfalls sehr bleichen Pantomimen. Hans-Günther (Arndt Schwering-Sohnrey) entdeckt ihn schließlich an einer Bushaltestelle – und stellt fest, dass der Fremde gespenstische Ähnlichkeit mit seiner verlorenen Tippkick-Figur hat. Ein Blick unter die Jacke bestätigt seinen Verdacht – die Figur ist auf unerklärliche Weise lebendig geworden. Mit dem Mofa nimmt er das seltsame Wesen mit.

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Wie kamst du zum Team von IN DER TIEFE DES RAUMES?

Zu dem Projekt gekommen bin ich über den Gil Mehmert, den Regisseur. Der hat damals in der Theaterakademie München, an der ich studiert habe, die Regie von meinem Abschlussstück gemacht. Jede Maskenbildnerin muss ein komplettes Stück leiten und das Konzept machen, das war ein ziemlicher Wahnsinn. Und wie es ganz oft ist: Wenn man mit jemandem arbeitet, entsteht etwas Neues daraus. Anscheinend hatte ihm gefallen, dass wir uns da gemeinsam durchgeboxt haben. Direkt nach dem Stück hat er mich gefragt, ob ich mit ihm seinen allerersten Film machen möchte. So bin ich dazugekommen.

Hat er damals schon erzählt, worum es ungefähr gehen sollte?

Wir haben ja fast ein Jahr Vorbereitung gehabt. Gil Mehmert musste, wie es allgemein üblich ist, eine Einreichungsmappe für die Filmförderung herstellen. Das haben wir dann auch noch in meinem Abschlussjahr gemacht und haben da auch schon rumexperimentiert und Eckhard in diversen Formen geschminkt, ausprobiert, ob man die Haare zurückkriegt. Wir haben auch eine Testperücke gekauft für die spätere Günter-Netzer-Frisur und das Ganze dann auch ziemlich professionell mit einem kleinen Kurzfilm im 60er-Stadion in München gefilmt und eingereicht. Und ungefähr ein Jahr später ging es dann los.

Die Ideen ist ja ziemlich ungewöhnlich. Kannst du dich daran erinnern, als er dir den Plot das erste Mal erklärt hat?

Gil erzählte mir, dass diese Geschichte auf einer Autofahrt nach Ingolstadt zusammen mit Eckhard entstanden ist, auf der sie sich gegenseitig die ganze Zeit Geschichten erzählt haben und dann angefangen haben, über dieses Tippkickmännchen sich einen kleinen Faden zu spinnen, bis sie irgendwann beschlossen haben, sie drehen jetzt diesen Film. Eigentlich ist die Geschichte völlig absurd und passt auch ganz gut zu den beiden, dass die beiden sich da so etwas einfallen lassen haben.

Und was hast du gedacht?

Für mich war damals alles eine Herausforderung. Das war mein allererster Film direkt nach der Akademie und dann noch als Leitung, das war für mich sowieso aufregend genug. Ich weiß gar nicht, ob ich noch darüber nachgedacht habe, ob das jetzt schwierig oder nicht für mich wird – das wurde es sowieso. Ich hab, Gott sei Dank, Hilfe gehabt damals, ich habe jemanden gehabt, der so eine Art Mentor für mich war. Dem konnte ich viele Fragen stellen und habe sie auch beantwortet gekriegt. Damit sind wir ganz gut auf den Weg gekommen.

Ein Tippkickmännchen, das sozusagen lebendig wird und plötzlich volle Lebensgröße hat: Konntest du dir gleich vorstellen, wie das aussieht?

Ja, da konnte ich mir gut vorstellen. Dadurch, dass man die Vorgabe, die feste Vorgabe eines Tippkickmännchens ja hatte. Ich kannte Eckhard schon und weiß, dass Eckhard ein Freak ist. Eckhard kann wunderbar ganz kuriose Sachen spielen. Ich kannte ihn aus dem Theater, und für mich war von Anfang an klar, dass Eckhard das spielen kann. Und das gehört ja auch immer zusammen. Ich kann keine Maske für jemanden entwerfen, der dann durch sein Spiel das Ganze nicht unterstützt. Oder anders rum, ja, eigentlich ist es ja eher so, dass der Maskenbildner den Schauspieler bei seinem Spiel unterstützt. Und in seinem Falle konnte ich mir das eigentlich gleich vorstellen. Es gab ja auch die Kostümbildnerin, Stefanie Bruhn, mit der ich damals auch das Abschlussstück zusammen gemacht hatte. Steffi ist auch eine Koryphäe für merkwürdige Produktionen. Damit war auch klar, dass dieses Thema, dass dieser Kickmensch ja eigentlich keine Hände und keine Arme hat – dass auch das gelöst werden wird. Insofern musste ich mich ja eigentlich nur noch um die Sachen kümmern, die aus dem ganzen Kostüm rausgucken.

Und wie war das, als du zum ersten Mal Hand an Eckhard gelegt hast, sozusagen, um ihm sein überzeugendes Aussehen zu verpassen?

Wild. Ich weiß noch, dass an dem Tag, an dem wir dieses Vorshooting vorbereitet hatten, Eckhard noch wahnsinnig viele Fragen an Gil hatte. Und dass es für mich unheimlich schwierig war, weil Eckhard lamentierenderweise durch den Maskenraum latschte und überhaupt nicht zur Ruhe kam und ich natürlich furchtbar nervös war und eigentlich meine Arbeit machen wollte. Aber das geht nun mal nicht mit einem Schauspieler, der im Raum rumlatscht. Aber wir haben uns relativ bald sehr gut zusammengefunden. Auf Eckhard lass ich heut noch nach wie vor nichts kommen, und er, glaube ich, auf mich auch nicht.

Wie fängst du mit einer Maske an? Fängst du beim Make-up an und sagst dann irgendwann: Okay, ich brauche jetzt noch künstliche Haare?

Zum einen gab es ja eine Vorgabe: Wir brauchten eine Puppe, also eine Tippkickmännchen. Aus einem Menschen, der auch eine Motorik und eine Mimik hat, eine Puppe herzustellen, das ist schon mal an sich sehr schwierig. Wir mussten natürlich einen Hautton finden, der ihn möglichst künstlich macht, und gewisse Attribute, die sein Gesicht hat, reduzieren: Ein Tippkickmännchen hat diese Lippen, es hat diese eckigen Augenbrauen, und die sitzen an einer gewissen Stelle. Und das haben wir durch mehrmaliges Üben, ich erinnere mich nicht genau daran, aber wir haben bestimmt zehn Maskentests gemacht, indem wir die Augenbrauen wirklich aufs Penibelste platziert haben, und das auch immer in Anwesenheit aller, die das zu entscheiden haben: dass diese Augenbrauen wirklich an der richtigen Stelle sitzen und wie sehr sie sich dann in der Menschwerdung auch vergrößern oder verstärken. Am Anfang sind sie ja sehr schwarz, sehr eckig, sehr kantig. Wir haben ihm dafür auch die Augenbrauen gezupft, er hatte da drunter nicht mehr so viele von seinen eigenen. Er durfte ja auch keine Haare besitzen, keine Körperhaare. Und im Rahmen der Menschwerdung nähert sich dann der Hautteint, die Augenbrauen und auch die Lippenfarbe immer mehr der eigenen Farbe der Augenbrauen, der Lippen und der Haut an. Gott sei Dank war es so, dass man den Übergang von dieser Kappe, also diesen Nichthaaren oder dieser Plastikversion einer Frisur, dass der Moment, wo es sich dann ändert in echte Haare, dadurch gelöst wurde, dass er eine Perücke findet und sie sich aufsetzt. Das heißt, wir sind nahtlos von dieser Kappe in eine Perücke übergegangen. Diese Perücken habe ich in Auftrag gegeben. Das hätte ich zeitlich selber gar nicht mehr geschafft. Abgesehen davon, kenne ich großartige Mädels, die in München Haararbeiten herstellen. Wir insgesamt drei Stück gehabt, was eigentlich wenig ist für so eine Geschichte. Aber das Finanzielle spielte da ja auch eine Rolle.

Wie wurden diese speziellen pechschwarzen Haare hergestellt?

Die Basis dieser Kappe ist Latex. Ich habe erst einmal auf Eckhards Kopfabdruck eine Frisur modelliert und habe dadurch eine Negativschale abgießen können. Die habe ich mit Latex ausgepinselt und dann in mehrfachen Schichten – denn man musste ja diese kleine Schraube mit einarbeiten –, in mehrfachen Schichten, mit Mullbinden und wieder Latex und wieder Mullbinden und wieder Latex, eine Kappe hergestellt, die an der dicksten Stelle, nämlich da wo diese Schraube auch sitzt, ungefähr drei Zentimeter stark ist. Alles andere geht dann nahtlos in die Haut über. Die Haare, das ist eingefärbtes Hanf, das ich dann tatsächlich einzeln da draufgeklebt habe, ein bisschen wie eine Frisur. Ganz glatt sollte sie halt nicht sein. Es hätte sich auch in der Kamera zu sehr gespiegelt, wenn sie ganz glatt wäre, also wir wollten schon eine Frisur andeuten.

Ist diese typische Tippkick-Schraube dort mit eingearbeitet?

Da ist eine Schraube mit eingearbeitet, weil wir ja davon ausgegangen sind, dass wir während des Filmes mehrfach diese Schraube rausdrehen müssen, also den Knopf rausdrehen müssen, um ihn auch zu wechseln. Es gab einen Knopf, den konnte man tatsächlich drücken – pöppeln, haben wir immer gesagt. Und es gab eben so einen Knopf, der nicht pöppeln konnte. Das musste man hin und wieder wechseln – und das Ganze eben, ohne diese Kappe am Tag abnehmen zu müssen, weil wir diese Kappe auf Eckhards Kopf geklebt haben mit einem silikonhaltigen Kleber und auch direkt in die Haare. Der arme Eckhard ist malträtiert worden. Das war nämlich manchmal ganz schön schmerzhaft, das Ding wieder runterzubekommen. Und damit man das nicht mehrfach am Tag machen musste, konnte man dann eben diese Schraube, diesen Pöppel, rein- und rausdrehen. (Zeigt die Innenseite der Perücke) Innen mit Futter, angenehmer zu tragen.

Der Übergang von der Kappe auf die Haut musste vermutlich noch mal speziell mit Latex überdeckt werden, oder?

Nein, die Kappe saß tatsächlich sehr gut. Ich habe die Übergänge mit einem angedickten Kleber zugepastelt – man kann Kleber andicken mit allen möglichen flockigen Materialien, sodass es eine Paste wird – und dann mit schwarzem Edding angemalt und mit zitternder Hand immer versucht, nicht Eckhards Haut zu treffen.

Wie lang hat es dann jedes Mal gedauert, ihn mit dieser Maske und Make-up perfekt hinzukriegen?

Anderthalb Stunden wird es gewesen sein. Daher natürlich auch die Überlegungen, wie man Zeit sparen kann, indem man Sachen umbaubar gestaltet.

Musstest du – außer dem Gesicht – auch den restlichen Körper stark verändern und bearbeiten?

Nein, das hat unsere Kostümbildnerin gelöst. Das Ganze war eine Art Balletttrikot, das gibt es auch in Hautfarbe, in diversen Hautfarben, das hat sich dann immer weiter gesteigert. Das war auch sehr dramatisch, da haben wir haben viel ausprobiert, ob dieses Material, wenn es nass wird, Flecken kriegt. Eckhard geht ja in einer Szene in die Badewanne, und da wäre es natürlich blöd gewesen, wenn dieses Trikot sich voll Wasser saugt oder Blasen schmeißt oder die Klassische, wie man es von der Strumpfhose kennt, an den Knien diese Rollen bildet – das war ganz spannend. Es hat aber funktioniert. Es war stellenweise witzig, weil Eckhard natürlich dadurch, dass die Hände in dem Kostüm eingearbeitet waren, auch nicht aufs Klo gehen konnte. Man musste ihn dann mal hin und wieder begleiten.

Inwiefern haben die Vorgaben zur Ausgangsfigur des Regisseurs oder des Drehbuchautors deine Arbeit beeinflusst?

In diesem Fall gab es natürlich für mich nicht viel Handlungsspielraum, eine Figur selbst zu entwickeln. Die erste Vorgabe war das Tippkickmännchen, das musste ja originalgetreu nachgebaut werden – und an Günter Netzer kann man nun mal nichts ändern. Der ist so, wie er ist. Und der hat seine Frisur, und die musste man dann so herstellen. Es gab ja eine ganz gezielte Vorgabe. Es gibt immer mal wieder Regisseure, die sagen: Ich hätte gerne eine rothaarige Fee. Da kann ich natürlich kreativ werden und mir eine rothaarige Fee ausdenken, ihm einen Vorschlag machen. Vielleicht findet er es gut, vielleicht hätte er gern eine Änderung. Aber Günter Netzer musste man dann schon versuchen, so gut wie möglich zu kopieren.

Wurde dann für das Netzer-Aussehen auch an dem Gesicht was verändert, mit Prothesen zum Beispiel?

Nein, gar nichts. Man kann als Maskenbildner immer mit Hell und Dunkel arbeiten. Dadurch, dass man verschiedene Make-up-Materialien in verschiedenen Tonhöhen hat, kann man eine optische Täuschung herstellen. Ich kann natürlich Wangenknochen, die besonders breit sind, mit dunklen Farben etwas dunkler abschattieren, so dass die ein bisschen zurücktreten. Und mit hellen Tönen anders rum: Ich kann Sachen hervorholen mit hellen Tönen. Das war schon eine Modellierarbeit. Das war auch übrigens bei dem Tippkickmännchen so, weil das es ja eigentlich keine Wangen und auch natürlich keine Falten hat. Das heißt, das war nicht so, dass Eckhard einfach eine weiße Farbe im Gesicht hatte, sondern das waren zwischen drei und fünf verschiedene Töne, die man gezielt eingesetzt hat, wo man sie brauchte.

In einer Szene, die wir auch zeigen, sieht man ihn mit einem Pantomimen, der so ähnlich wie er geschminkt ist. War das auch eine Vorgabe, das Maskenhafte, das beide haben, im Make-up auch zu betonen? Also eine Ähnlichkeit zwischen den beiden herzustellen?

Ja, das war natürlich Absicht. Der Gedanke war, dass Eckhard als Tippkickmännchen durch die Stadt läuft und langsam, aber sicher begreift: Er ist anders, und er hat keine Freunde. Er sieht diesen Pantomimen und glaubt, jemanden zu sehen, der mit ihm sozusagen verwandt ist. Das war es, was das Ganze symbolisieren sollte. Eckhard denkt: Da ist einer, der ist so wie ich – und vielleicht kann ich den um Rat fragen. Konnte er natürlich nicht, weil er ja ganz anders war, eben nur geschminkt.

Es gibt Filme, die treiben den Make-up-Effekt auf die Spitze, wie MISSION IMPOSSIBLE, wo sich die Figuren ständig Masken vom Kopf reißen und immer anders aussehen. Kann man das alles mit Latex von Hand herstellen? Oder welche Tricks kommen da zur Anwendung?

Das kann man schon. Aber das Ganze ist natürlich immer eine Kombination aus Licht, vermutlich auch ganz viel Greenbox, digitalen Effekten und vor allem Schnitt. Es ist immer, wie gesagt, eine Zusammenarbeit. Wenn man die Maske allein sehen würde – wenn man jetzt so voreinander stehen würde, wie wir das jetzt gerade tun –, würde man natürlich sehen, dass das eine künstliche Maske ist. So was geht nie ohne Beleuchtung und ohne Nachbearbeitungen, Schnitt. 

Gibt es Masken, die du besonders bewunderst, weil sie so gut gelungen sind?

Da gibt es wahnsinnig viele. Ein Klassiker ist natürlich AMERICAN WEREWOLF. Für die damalige Zeit ist das eine großartige Arbeit. Vieles davon würde man heute ganz anders machen, und vieles davon würde man genauso machen. Das war einfach eine Hammergeschichte, auch wenn es ein absoluter trashiger Film ist. Was mir auch immer gut gefallen hat, waren viele Filme von Dick Smith, ein sehr bekannter Maskenbildner, der sehr viel Alterungsprozesse mit geschäumten Masken, Gelatinemasken oder Latex- oder Silikonmasken – es gibt da eine Bandbreite – herstellt. Und da ist zum Beispiel LITTLE BIG MAN. Das ist ein grandioser Film. Ich glaube, der Darsteller war damals um die Vierzig und spielt einen Hundertdreijährigen – und das sieht wahnsinnig aus.

Wenn Männer sich in Frauen verwandeln, wie etwa in Filmen wie MRS. DOUBTFIRE oder TOOTSIE – ist das eine besonders schwierige Aufgabe für den Maskenbildner?

Schwierig ist alles. Bei solchen Geschichten ist von Vorteil, dass der Mensch hinterher ganz anders ausschaut. Man muss ja nicht wie bei einer Alterungsmaske die Prozesse, die stattfinden würden, beachten, sondern man gibt demjenigen ein komplett neues Gesicht. Wie Eddie Murphy in DER VERRÜCKTE PROFESSOR: Man sieht zwar immer, dass es dieser Darsteller ist, aber diese Schaumteile sind derartig dick, dass man kaum eine Vorgabe hat. Man muss sich nicht an die Mimik des Schauspielers halten – also muss man schon, sonst bewegen sich die Teile nicht, aber man ist relativ frei. Das ist es, was es vielleicht einfacher macht. Schwierig ist es trotzdem, denn so eine Maske muss auch erst mal hergestellt und gegossen werden. Das Schwierigste an diesen Masken ist, sie glaubwürdig anzumalen, dass das ausschaut wie Haut. Das haben wir an der Akademie geübt, und das sah dann immer mehr oder minder Scheiße aus.

Es gibt auch die gegenteilige Herausforderung: eine Maske für einen Film zu machen, von der der Zuschauer möglichst überhaupt nichts merkt – nicht, dass da Make-up drauf ist oder etwas verändert wurde. Hast du schon einen Film gemacht, wo das die Aufgabe war?

Ja, ich habe einen ganz tollen Filmhochschul-Film gemacht, von der Ludwigsburger Filmakademie, der hieß SIEBENEINHALB FRAUEN NACKT. Ein großartiger Film, es ist einer von den Kurzfilmen, auf die ich echt stolz bin. Das sind sieben nackte Frauen. Man durfte natürlich nicht sehen, dass sie angemalt oder geschminkt sind. Das war eine große Aufgabe: weil dadurch, dass sie nackt waren, der Körper, die Fläche die ich bearbeiten musste, sich gleich mal um einiges vergrößert hatte und vor allem die Hälfte von diesen Mädchen auch noch tätowiert war. Das ist ja auch was, was möglichst natürlich ausschauen soll, und man soll aber eben nicht sehen, dass es geschminkt wurde, das ist auch immer mit den Tattoos so, die müssen halt dann auch weg. Es ist auch eine sehr, sehr schwierige Aufgabe, die meisten sehen es halt nicht. Wenn man eine Maske nicht sieht, sieht man nicht, was gemacht wurde. Und dann fragen ganz viele Leute den Maskenbildner: Was machst denn du da anderthalb Stunden lang? Sie wissen eben nicht, dass man die Tattoos mit unheimlich vielen Gegenfarben bearbeiten muss.

Wenn es um den ganzen Körper geht: Was gibt es da für Mittel? Eine Spraydose?

Es gibt natürlich die Möglichkeit, mit Airbrush zu arbeiten. Kommt immer drauf an, wie viel Geld man hat. Bei der Filmhochschule war es natürlich so, dass wir Körperschminke benutzt haben, die wir mit den Händen eingearbeitet haben. Aber tatsächlich kann man wunderbare Sachen mit Airbrush-Pistolen machen.

Was ist schwieriger: eine Maske für einen Hundertdreijährigen oder die Maske, die man nicht sehen darf?

Aufwendiger ist mit Sicherheit das Erstere, eine Altersmaske, weil man die modellieren muss, gießen muss. Das sind Prozesse, die Wochen dauern, weil man ja auch Trocknungsvorgänge hat – das wissen ja die meisten nicht. Wenn man etwas modelliert, dann muss es trocknen, dann muss man es abgießen, es muss wieder trocknen. Welche Maske ist schwieriger? Es kommt darauf an, mit welcher Leidenschaft man an ein gewisses Projekt gefesselt ist. Höchst aufwendige Dinge können höchst einfach werden, weil man seine Seele da rein gibt, weil sie einem Spaß machen. Sachen, die einem nicht Spaß machen, werden automatisch schwieriger.

Wie kann man diesen Beruf erlernen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Maskenbildner zu werden. Es gibt ja Millionen Privatschulen mittlerweile. Ich habe eine klassische Ausbildung mit einer zusätzlichen neueren, moderneren Ausbildung kombiniert. Ich habe zu Beginn eine klassische Friseurlehre gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass das sein sollte. Ich finde, das sollte auch immer noch sein. Es ist ja abgeschafft worden, dass man die Friseurlehre vorher macht. Ich bin dagegen, weil man auch im Friseurberuf unheimlich viel über Formen und Farben und Harmonien des Körpers und des Gesamteindrucks vermittelt bekommt. Das ist ganz wichtig, finde ich. Ich habe dann ein Praktikum zwei Jahre in einem Theater gemacht, um herauszufinden, ob ich das wirklich machen will, habe dann noch mal eine private Friseurfachschule besucht für ein halbes Jahr und bin dann an der Theaterakademie August Everding in München genommen worden, und die dauert drei Jahre. Das heißt, ich habe einen akademischen Abschluss, ich bin staatlich geprüfte Maskenbildnerin.

Wie viele Maskenbildner werden da jedes Jahr ausgebildet?

In der Theaterakademie wurden zu meiner Zeit zwölf pro Jahrgang aufgenommen. Vier wurden nach der ersten Zwischenprüfung "entlassen" – egal, welche Noten sie hatten, also eine harte Auswahl. Acht haben dann den Abschluss gemacht, was ich großartig finde. Bei unheimlich vielen Privatschulen, die sündteuer sind, ist es leider so, dass die Klassenstärke fünfunddreißig bis fünfundvierzig Personen beträgt bei der gleichen Anzahl von Lehrern wie an der Theaterakademie. Da ist mir doch lieber, ich bin eine von acht und krieg viel beigebracht, weil viele gute Leute viel Zeit haben, sich um mich zu kümmern.

Was zeichnet einen guten Maskenbildner aus?

Ein guter Maskenbildner ist für mich, wenn man nicht sieht, was er gemacht hat. Egal, was er macht, egal, ob das jetzt Special Effects sind oder nicht. Man darf einfach nicht sehen, was er gemacht hat. Ein anderer ganz wichtiger Punkt ist: Man muss unheimlich sozial veranlagt sein. Das Ding ist ja, dass die Maskenbildnerei oder der Raum, in dem die Maskenbildnerei sich befindet, so eine Art Ruheraum, Kraftraum für die Darsteller ist. Das kann unter anderem auch sehr anstrengend sein, wenn man anderer Leute Seele versucht zu stärken, nicht nur durch Gespräche, sondern auch durch meinen Pinsel, weil ich demjenigen ja ein Gesicht gebe. Denn mit diesem Gesicht und mit dieser Seele, die ich ihm da verpasse, muss er auch rausgehen. Man merkt schon immer wieder, dass der Darsteller so auf die Bühne oder vor die Kamera geht, wie man ihn da drinnen abgegeben hat. Das kann unter anderem sehr anstrengend sein. Ich denke, wenn ein Maskenbildner nicht Menschen liebt oder die Psyche des Menschen liebt, dann hat er verloren.

Gab es Begegnungen, wo diese psychologische Komponente dich überfordert hat? Wo du dachtest: Ich schaff das nicht, den richtig vorzubereiten?

Ja sicher, klar. Es gibt immer wieder Drehs, die für das Team sehr anstrengend sind. Das Problem ist oft, dass viele Darsteller nicht jeden Tag da sind, sondern immer nur jeden dritten, oder so gar manchmal auch eine ganze Woche Drehpause haben. Man selber ist aber den ganzen Tag da, wenn man Pech hat, auch mal fünfzehn, sechzehn Stunden am Tag. Und dann kommt dieser frisch erholte Darsteller natürlich am siebten Tag der Woche zurück in die Maske, und man selber ist eigentlich, wenn man es zugeben würde, richtig fertig. Man muss dann trotzdem versuchen, für denjenigen da zu sein. Das muss man können, dass man seine eigenen Bedürfnisse eine ganze Weile zurücksteckt. Aber die meisten danken es einem auch sehr. Aber mir ist es auch schon passiert, dass ich vor lauter Überforderung, weil an dem Tag alles ganz viel und alles ganz schlimm war, vor meinem Darsteller in Tränen ausgebrochen bin und der mich sofort in den Arm genommen hat. Oder Eckhard, der an einem Tag, an dem ich nichts gegessen hatte, mich am Arm packte und vom Set zerrte mit der lauten Behauptung: Meine Maskenbildnerin muss jetzt essen. So, und dann war Drehschluss. Und da bekam ich was zu essen. Also es ist schon ein eine gegenseitige Basis. Man wird zu einer Art Familie in der Maske, finde ich. Das wird so ein bisschen das Verhältnis von Bruder und Schwester, im blödesten Falle natürlich von Mutter und Kind, aber in der Regel wird es Bruder und Schwester.

Und lernt man auch die Marotten und das Schwierige von Schauspielern fürchten?

Ja, aber eigentlich kommt so was nicht vor. Jeder hat ja seine Eigenheiten. Und wenn man mit den Eigenheiten umgehen kann, ist das ja auch kein Problem. Ich denke, so richtige Schauspieler mit höchst anspruchsvollen Einfällen, die haben wir in Deutschland gar nicht. Da gibt es ja ganz andere Hörensagen-Geschichten aus Amerika, so was ist mir noch nicht begegnet, ich war mit meinen Darstellern bisher immer superglücklich. Ich würde mit jedem wieder arbeiten.

Was für Hörensagen-Geschichten waren?

Na ja, man hört ja von Jennifer Lopez zum Beispiel, dass sie sich ganze Hotelzimmer in Weiß streichen lässt und ganze Hotelpersonale durch die Gänge scheucht und ganze Hotels dazu bringt, sich zu fürchten, wenn sie kommt. Ob das stimmt, weiß natürlich keiner, aber solche Hörensagen gibt es halt. Ich glaube, so was haben wir hier unter unseren deutschen Darstellern nicht. Nicht dass ich gehört hätte.

Ist dir im deutschen Film eine Maskenbildleistung besonders aufgefallen?

Da ich sehr gerne Horrorfilme gucke: TATTOO finde ich großartig zum Beispiel. In TATTOO gibt es ja einen Sammler von Tattoos, der einen Kriminellen damit beauftragt hat, Tattoos aus Menschen herauszuschneiden. Das heißt, es gibt tatsächlich diese Fleischstücke. Und das ist, glaube ich, schon eine Wahnsinnsarbeit gewesen. Das hat ein Freund von mir gemacht, ich habe sie auch schon in der Hand gehabt – ganz schön eklig. Also ein Stück Haut, mit einem Tattoo drauf herzustellen, das dann an vier Haken an der Wand hängt, das hat ihm bestimmt Spaß gemacht. ANATOMIE fand ich auch toll.

In der internationalen Filmgeschichte hatten wir schon LITTLE BIG MAN als Beispiel. Fällt dir sonst ein Film ein?

Was ich ganz toll fand, war ELIZABETH. Die Elizabeth hatte ja die Haare zurückversetzt, also ausrasiert vorne, und das muss man natürlich bei einer Darstellerin dann auch machen. Das war eine großartige Maske. Und natürlich GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN sieht super aus, VALMONT auch. Historische Masken sind grundsätzlich sehr schwierig und aufwendig und auch teuer. Die Herausforderung dabei ist, dass man nichts Genaues weiß. Es gibt natürlich Vorlagen und Gemälde, aber so wirklich genau weiß man nicht, wie sie ausgesehen haben, Fotos gibt es ja keine. Und historische Frisuren herzustellen, bedeutet eigentlich immer eine Perücke. Das ist eine wahnsinnig aufwendige Arbeit, die ganzen Perücken müssen in Auftrag geben werden, sie müssen frisiert und immer wieder nachbearbeitet werden.

Ein Satz, was Kino für dich bedeutet. Kino ist ...

 ... unsterbliche Illusionen. Ich glaube, dass alles in irgendwelchen Phasen des Lebens kaputtgehen kann. Film und Theater allerdings nicht. Also das ist was, was es immer gab und immer geben wird. Also in den größten Krisensituationen, selbst im Krieg, gab es immer Kino oder eben Theater, weil die Menschen das brauchen. Menschen gehen ja ins Kino oder ins Theater, um sich ablenken zu lassen von dem, was wirklich um sie herum passiert. Und das ist ja eine Art von Flucht für die. Und das ist genau das, was wir tun. Wir geben den Leuten die Möglichkeit, nicht nachzudenken. (Lächelt)

Wenn du nicht Maskenbildnerin geworden wärst, hättest du dir einen anderen Beruf beim Film vorstellen können?

Meine neuste Idee ist ja Catering. Wir haben ein grandioses Catering gerade gehabt, Frau Pausenlos – also die heißt natürlich nicht Frau Pausenlos, unsere liebe Gerda. Catering ist ja, also die Mama, die man nicht mitnehmen durfte, die sitzt dann da im Cateringmobil und ist die Herrscherin über Kaffee und Süßigkeiten, und wenn man da morgens hinkommt und sagt: Gerda, hast du ..? Und die sagt dann auch noch Ja, dann ist alles super. Dann kann der Tag beginnen. Also allein die Vorstellung, dass man so ein dankbares Publikum da jeden Morgen vor seiner Klappe hat. Und: Man braucht keinen Gewerbeschein dafür. Weiß ich schon. Aber man friert den ganzen Tag.

Das Gespräch führte Tobias Kniebe.

Julia Lechner ist Absolventin der Theaterakademie August Everding in München, wo sie zur Maskenbildnerin ausgebildet wurde. Im Jahr 2003 drehte sie ihren Debütfilm als Maskenbildnerin mit dem Regisseur Gil Mehmert: AUS DER TIEFE DES RAUMES. Außerdem war sie für die Maske in GEFÜHLTE TEMPERATUR und BLÖDE MÜTZE und zu letzt für CLOUD ATLAS verantwortlich.

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