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Kostümbild – Der Stoff, aus dem die Kinoträume sind

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Visual & Special Effects – Der Griff in die Trickkiste

Den Menschen die Würde lassen

Wie Gabriele Binder die DDR-Kostüme für DAS LEBEN DER ANDEREN gefunden hat

„Ulrich Mühe hatte den Mut, diese anti-erotische, anti-sinnliche Jacke zu tragen und seine Eitelkeit völlig außen vor zu lassen. Das habe ich sehr bewundert.”

Interview mit Gabriele Binder

Ein Film, der Mitte der achtziger Jahre in der DDR spielt, hat in Sachen Kostümbild ein Problem: Man kann die Menschen nicht mehr so zeigen, wie sie damals herumgelaufen sind, ohne sie unfreiwillig der Lächerlichkeit preiszugeben. So entschieden sich die Kostümbildnerin Gabriele Binder und derRegisseur Florian Henckel von Donnersmarck dafür, die Realität zu überhöhen: Alle grellen Farben wurden vom Set verbannt, die Schnitte zeigen eher das Ende der siebziger Jahre als die exakte Mode der Zeit. Als Glücksfund erwies sich jedoch eine "erbärmliche Jacke" aus authentischen DDR-Beständen.

Die Szene

Nach einer Theateraufführung beobachten Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe) und Oberstleutnant Grubitz (Ulrich Tukur) die Künstlerszene in Ostberlin. Kurz darauf begegnen die Schauspielerin Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck) und der Theaterautor Georg Dreymann (Sebastian Koch) dem Kulturminister Hempf (Thomas Thieme) auf der Premierenfeier. Bei den Kostümen treffen damit drei völlig unterschiedliche Welten aufeinander – Stasi, höchste Politiker und Theaterleute, zwischen denen auch die zentralen Konflikte des Films entstehen werden.

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Wenn man zusammen mit einem Regisseur einen Film vorbereitet, dann entwickelt man ja gemeinsam so eine Art Leitgedanken, der einen bei der ganzen Arbeit führen soll. Können Sie beschreiben, wie das beim LEBEN DER ANDEREN war?

Wir haben natürlich erst mal mit einer intensiven Recherche begonnen und dabei festgestellt, dass unsere Grundidee eigentlich ist, Menschen zu zeigen, die wir aus unserer heutigen Sicht respektieren können und die nicht lächerlich wirken. Und in dieser Zeit, 1985, haben wir dann viele Dinge entdeckt, über die man heute eher lachen würde: diese ganzen Plaste-Elaste-Waren, einige Farben, die heute zu grell sind oder die wir nicht mehr in den gleichen Zusammenhängen sehen. Deswegen haben wir uns gefragt: Was mögen wir? Wie wollen wir die Menschen sehen? Was wollen wir ausblenden, weil es aus der heutigen Sicht nicht mehr verstanden würde oder gegen die Würde des Menschen arbeitet? Und so haben wir dieses Konzept der sehr müden Farben, so nenne ich das mal, entwickelt: die Betonung auf Grau- und Brauntönen und als Farbe eigentlich nur dieses kühle Grün und ein sehr, sehr ausgeblutetes Orange, was fast schon Braun ist, das dann aber im Film aber immer sehr zum Strahlen kommt. Die Kostümlinie 1985, wie wir sie im Westen hatten, war ja schon wesentlich breiter in den Schultern, eigentlich eine A-Linie. Wir fanden auch, dass das auch nicht zur Würde und der Bescheidenheit der Personen passte. Deswegen haben wir uns entschieden, (was in der Zeit eigentlich auch authentisch funktioniert), das Ganze zurückzulegen – eher eine End-78er-Mode tragen zu lassen. Das entsprach auch der Mode in der DDR, weil diese sich nicht so schnell entwickelt hat wie im Westen. Wir sind zu einer eigenen Sprache gelangt und haben versucht, eine organische Welt aus den Elementen zu bauen, die wir gut und verständlich für heute fanden.

Wie fängt man eigentlich eine Recherche an, wenn man auf ein solches Thema nicht spezialisiert ist? Können Sie beschreiben, wie Sie da vorgehen? Welche Quellen gibt es, wo finden Sie alte Bilder und alte Kostüme?

Speziell bei diesem Film konnte ich mich auf eigene Familienangehörige im Osten beziehen, die auch aus einer theaterverwandten Szene kommen und die mir sehr viel Material zur Verfügung gestellt haben. Dann habe ich an den Theatern recherchiert: Deutsches Theater, Maxim Gorki Theater usw. Und eigentlich hat mich dabei interessiert, wie Theaterleute privat, bei Premierenfeiern und bei den Proben aussahen. Interessanterweise gab es überhaupt kein Bildmaterial, was mir zuerst unverständlich erschien. Es gab immer nur Fotos von den Aufführungen. Und wenn ich gefragt habe: Ja, habt ihr denn nicht gefeiert hinterher? Zeigt mir doch mal die Fotos!, haben sie zu mir gesagt: Bei uns wurde nicht fotografiert. Was mir zuerst unverständlich erschien. Jetzt nach dieser ganzen Stasigeschichte, da sich das gesetzt hat, habe ich das Gefühl, dass es wahrscheinlich so war, dass man sofort für jemanden von der Stasi oder für ein IM gehalten worden wäre, wenn man dort fotografiert hätte. Das heißt, es war eigentlich sehr, sehr schwer, Material zu bekommen, das nur halbprivat war oder aus Familienfotos bestand. Für uns wurde ein kleines Buch ganz wichtig , das kroatische Maler zwischen 1978 und 1983 zeigt und wie so ein kleiner Katalog ist. Das habe ich irgendwann Florian gezeigt und gesagt: Das könnte unsere kleine Bibel sein. Und Florian hat sich, glaube ich, zu Tode erschrocken und dachte: Was will sie denn jetzt? Dann hat er es gesehen und geantwortet: Ja, genau, das trifft diese Sprache. Es war einfach eine sehr klare Sprache: minimalistisch gehaltene Kostüme, die aber doch Individualität hatten, ohne dass da irgendwas aufgesetzt wirkte oder glamourös wurde oder gar exzentrisch wie in der DDR, dass sich Schauspielerinnen aus Tischdeckchen Kleider genäht haben. Was zwar schön ist, aber was, wenn man es dann zeigt, irgendwie doch sehr lustig wirkt. Das wurde eigentlich zu unserer Outline für den ganzen Film: diese würdevollen, individuell gekleideten Menschen. Die politische Recherche war dann relativ einfach. Für die Stasi haben wir – wie recherchiert man die Stasi? –, haben wir eigentlich die Behauptung aufgestellt, dass wir wollen, dass unsere Stasi nicht gesehen werden will. Und dass wir versuchen werden, die Kostüme so zu gestalten, dass sie eigentlich mit dem Hintergrund eins werden. Das passierte dann in enger Zusammenarbeit mit der Ausstattung.

Welche realen Kleidungsstücke aus der DDR konnten Sie berücksichtigten und welche nicht? Wie haben Sie die Entscheidung im Einzelfall getroffen?

Diese Plastikwaren, diese speziellen Polyesterwaren, oder auch die Präsentanzüge hätten eigentlich in unseren Film gehört. Das sind Anzüge, die man im etwas gehobeneren Dienst getragen hätte. Unsere Stasis hätten die auch tragen können, aber die haben so einen erbärmlichen Schnitt, einen starken Glanz und das Material bewegt sich überhaupt nicht. Wenn man das heute sieht, dann muss man lachen – und das wollten wir nicht. Wir wollten, dass die Menschen ernst genommen werden. Das war eigentlich das erste Anliegen. 

Der Film spielt ja – was deutlich gezeigt wird – in einem Überwachungsstaat. Wie haben Sie die Aufgabe angepackt, diese bedrückende Atmosphäre auch in den Kostümen sichtbar zu machen?

Wir wollten diese Enge durch unsere sehr abgetönten Farben visualisieren und auch durch dieses antiglamouröse – ich will jetzt nicht sagen: antierotische – Kostüm. Aber es findet doch nur eine sehr gedämpfte Sinnlichkeit statt. Während meiner Zusammenarbeit mit Sebastian Koch – der ja ein sehr sinnlicher und lebensfroher Mensch ist – passierte es mir immer wieder, dass wir – wenn ich ihn gesehen habe, wie er sich bewegt – , dass wir zum Beispiel den Mantel, den er trug, noch mal ausgetauscht haben gegen ein schmaleres, relativ ähnliches Objekt. Man wird das nicht sehen, aber er trägt zwei verschiedene Mäntel im Film – die eigentlich aber einer sein sollen, weil der erste so weit war, dass er die Bewegung noch vergrößert und ihn sinnlicher und lebensfroher hat wirken lassen. Was wir aber wollten, war das Gegenteil davon – nämlich diese Enge und das “Ich komme da nicht raus“. Am besten symbolisiert das natürlich die Jacke von Ulrich Mühe, die so ein hermetisch abgeriegelter Kasten ist, der seine Isolation zeigt. Auch die Knöpfe an der Jacke: wie zusätzliche Augen. Ich denke, damit ist einfach dieses “Hier bin ich, ich bin in einem Kasten und ich kann mich nicht bewegen“ ausgedrückt, ich glaube, dank Ulrich ist das ziemlich gut gelungen.

Wie wurde diese Jacke gefunden? Gab es die irgendwo in DDR-Beständen oder wurde sie neu geschneidert?

Es gab sie in DDR-Beständen. Und ich würde sagen, wenn man die Jacke ohne Ulrich sieht, muss man sagen, es ist eine ganz erbärmliche Jacke. Eigentlich ist das eine Unverschämtheit, den Schauspieler überhaupt zu bitten, die mal anzuprobieren. Aber Ulrich hat bei der Anprobe sofort gespürt, dass die ihm etwas gibt – was dann auch seine Bewegung geleitet oder vergrößert hat. Dieses ganz Starre hat ihm einfach einen guten Raum gegeben – er hat sie angezogen und war begeistert. Die Jacke haben wir also durch einen Versuch entdeckt.

Meinen Sie im Nachhinein, dass es eigentlich ein Risiko war, sich für dieses Stück zu entscheiden?

Ich denke, das war eine sehr mutige Entscheidung. Ich hörte ja auch von einigen Menschen, dass sie aussehe wie für Raumschiff Enterprise. Womit sie vielleicht nicht ganz Unrecht haben, aber das ist natürlich eine Gratwanderung, dass diese Jacke auch ein bisschen lustig, leicht einen Science-Fiction-Charakter bekommen kann. Aber so wie er damit umgegangen ist, war das großartig. Er hatte den Mut, diese antierotische, antisinnliche Jacke zu tragen und seine Eitelkeit völlig außen vor zu lassen. Das habe ich sehr bewundert. So etwas kann man eben auch nur zusammen schaffen. Man kann solche Dinge dem Schauspieler nicht sagen: Ich finde das großartig, zieh das an. Es geht nur, wenn er selbst spürt, dass das Kostüm zu seiner Rolle passt. Das ist Kostüm, den Raum für den Schauspieler herstellen bis diese Jacke eben zur Stasijacke wird.

Können Sie andere Momente beschreiben, in denen Sie unbedingt Authentizität haben wollten?

Natürlich mussten die Uniformen absolut authentisch sein, die Abzeichen stimmen, das ist klar. Aber ich denke, dass wir zu einer eigenen Authentizität gekommen sind, indem wir Sachen gezeigt haben, die es so auch gegeben hat, aber dabei vieles ausgeblendet haben. So ist es uns gelungen, eine eigene, minimalisierte und modernere Version, eine aus dem heutigen Blickwinkel sehbare Version zu schaffen und zu verstehen – und eben keine Kopie der Zeit zu liefern.

Worauf haben Sie in der Szene im Theater geachtet?

Nach dem Theaterstück gibt es im Film eine Premierenfeier, bei der die Theatermenschen unter sich sind: der Autor, die Hauptdarstellerin, der Minister. Unsere beiden Stasimänner beobachten die ganze Szene aus dem Hintergrund. Die Statisten sollen hauptsächlich Theaterpublikum sein, Freunde und Theaterschaffende. Es spielt auch eine Band, die eine original Ostband war, die am Gorki-Theater gespielt hat. Ich kann mich leider nicht mehr an den Namen entsinnen. Die Szene wurde auch etwas länger, als wir dachten: weil es uns so gut gefallen hat, auch Fröhlichkeit und Lebensfreude in dem Film zu zeigen, die im Reste des Filmes nicht häufig zum Tragen kommt. Christa-Maria Sieland [Martina Gedeck] trägt auf der Party ein Kleid, was wir ihr angefertigt haben und bei dem wir wieder die 1985er-Linie extrem verkürzt haben, um es für uns ansehbarer und erotischer zu machen. Die Theaterschaffenden haben wir eher in warmen, braunen Tönen gehalten, und auch das Orange kommt sehr zum Leuchten, obwohl es abgetönt ist. Hier sieht man auch Grün in diesem sonst so grauen Film, weil wir im “Grünen Salon“ gedreht haben.

Der Anzug des Ministers zum Beispiel – ist er eleganter, als er es damals wahrscheinlich gewesen wäre?

Das würde ich nicht unbedingt sagen. Ich würde behaupten, dass der Minister natürlich Zugang zu Westwaren hatte und durchaus einen sehr authentischen, auch von Ministern getragenen Anzug trägt. Was sehr schön war, war, dass der Stasimann Grubitz [Ulrich Tukur], immer so lange an seiner Krawatte rumgezupft, bis die sich total verkordelt hat und immer schmaler geworden ist. Das fand ich ein schönes Element, Sachen dann doch falsch zu tragen. Das hat sich gut ergeben. Die beiden Stasis tragen etwas ärmlichere, auch traurigere Anzüge als der Minister. Und der Sebastian Koch, der Dreymann, trägt einen Cordanzug – er hat um ganzen Film nur einen einzigen Anzug, nämlich diesen Cordanzug, der schon sehr abgetragen und eben so sein Anzug, sein Zuhause, “Hier wohne ich drin“, ist. Das gehört grundsätzlich zu unserem Konzept dazu: Wir wollten, dass die Personen so sind, wie sie sind, und auch so bleiben. Das heißt, wir haben uns relativ wenig darum gekümmert: Ist das der zehnte Tage, ist das zwanzigste Tag? Sondern wir haben gesagt: Dieser Mensch bewegt sich so mit diesem Anzug verbunden, dass man im Nachhinein ein Bild von einem Menschen im Kopf behält, ohne dass man sich fragt: Hatte er ein rotes oder ein grünes Hemd an? Christa-Maria Sieland hat dieses Kleid, was schimmert, was gut in der Bewegung, im Tanzen ist, was aber auch aus einem typischen DDR-Stoff, nämlich Kunstseide, gefertigt war, schwer fällt, aber eben doch nicht so westlich fließt, wie es auch hätte sein können. Da haben wir sehr authentisch gearbeitet, nur die Linien verkürzt, damit das Kleid etwas mehr Sexappeal kriegt, als es im Original gehabt hätte.

Wie waren die Reaktionen, die vom Publikum zu Ihnen zurückkamen?

Die gab es schon beim Drehen. Wir hatten eigentlich alle Statisten nur aus dem Osten, das war ein Wunsch von Florian. Und oft, wenn wir etwa dreißig Statisten bei diesen Partys am Set hatten, haben sie schon gesagt: Ich spüre das, so sind wir, das war es. Das war immer eine große Freude für uns, weil wir dachten: Wir sind auf dem richtigen Weg. Und so war es dann eigentlich auch. Ich war bei einigen Vorführungen in Leipzig und in Dresden, wo die Leute gesagt haben: Ja, das ist es, das gibt das Leben damals wieder.

Wenn Sie auf den ganzen Film und auf Ihre Arbeit zurückschauen: Wo wird Ihr Einfluss am deutlichsten? Worauf sind Sie besonders stolz?

Ich bin eigentlich sehr stolz darauf bzw. froh darüber, dass Florian und ich der gleichen Meinung waren, einen für heute sehbaren Film aus einer anderen Zeit zu machen, aber dass wir eigentlich einen modernen Film machen wollen. Weil wir uns darüber so einig waren, behaupte ich, hat er mir tausend Prozent vertraut, mir eigentlich jede Freiheit gegeben und gesagt hat: Du spürst das, und wenn du glaubst, das ist richtig so, dann machen wir das so. Das treibt einen im Positiven sehr gut voran, viel mehr, als wenn man mit Regisseuren arbeitet, die immer zweifeln und sich fragen: Ist das richtig, könnte es auch anders sein oder machen wir hier alles falsch? Deswegen bin ich eigentlich froh über die gesamte Zusammenarbeit mit der Ausstattung und mit Florian so eng war und dass das in so starkem Vertrauen stattfinden konnte, so dass wir zu einem so guten Ergebnis gekommen sind. Ich würde es so sehen, dass es wirklich ein gemeinsames Ergebnis ist, und könnte gar nicht rausgreifen, was speziell mein Verdienst ist. Klar, dass die Leute nicht nackt vor der Kamera auftauchen mussten. (Lacht)

Vorhin ging es bereits um die Philosophie der kleinen Irritationen. Könnten Sie die noch mal ganz kurz schildern und ein kleines Beispiel aus dem Film oder aus anderen Filmen nennen?

Dazu möchte ich erst mal ausholen, dass das Leben meistens ja mehr anbietet, als wir denken können. Möglicherweise kann ja jemand viel mehr denken als das Leben, ich aber nicht. Deswegen mag ich es eigentlich immer gern, wenn ich zulasse, dass sich Dinge entwickeln – wie auch immer – und beobachte das nur. Meistens treten dann kleine Dinge auf, die man als Fehler bezeichnen könnte, aber die gerade so zum Hingucker oder zu Individualität werden. Oder zu: Alles war normal, aber es war doch ein bisschen anders, und darum kann ich es mir merken. Deswegen versuche ich, immer offen zu bleiben, weil es sehr schwer ist, Fehler zu erfinden, die dann gut sind und nicht erfunden dastehen – aber wenn man gut hinguckt, sieht man hier oder da etwas, was ausbricht. Dann muss man nur sagen: Da ist es, das halten wir fest. So etwas lässt sich sehr schwer erfinden, aber für mich macht das eine Lebendigkeit aus – oder das, was eine Person individuell und interessant macht.

Können Sie mir noch ein Beispiel nennen?

Martina Gedeck mochte diesen ausgestellten Mantel, den sie trug, nicht wirklich gern. Sie hätte sich gewünscht, einen taillierteren Mantel zu haben. Sie hat ihn dann aber getragen, weil wir den alle gut fanden. Weil sie aber nicht so hundertprozentig glücklich damit war, hat sie den immer so nach vorn gezogen in den Taschen, um ihn doch schmaler zu gestalten. Dadurch ist der Mantel eigentlich nicht besser geworden, sondern eher individuell komisch – und das hat dann ihre Figur ausgemacht. Ich freue mich immer, wenn solche Dinge passieren, die etwas verändern und eigentlich falsch sind – aber interessanter als das Normale.

Was zeichnet eine gute Kostümbildnerin oder einen guten Kostümbildner aus?

Ich glaube, einen guten Kostümbildner zeichnet aus, dass er sich sehr gut in die Vision des Regisseurs reinhorcht, ihn versteht, aus dieser Vision seine eigenen Ideen entwickelt und dass er diese dann in Zusammenarbeit mit dem Schauspieler lebendig macht. Das heißt, man kann einem Schauspieler nichts überstülpen, sondern man muss ihn verstehen und versuchen, die Vision im Schauspieler lebendig werden zu lassen, ihm ein Zuhause zu geben, damit er der werden kann, der er werden soll.

Welche Leistung im Kostümbild bewundern Sie besonders im deutschen Film?

Ich bewundere besonders die Leistung von Monika Bauert bei DAS BOOT. Denn da hat sie einen sehr, sehr engen, nämlich den militärischen Bereich extrem gut recherchiert und sich dadurch wiederum eine sehr große kreative Freiheit geschaffen, sodass sie wirklich individuelle Menschen auf diesem Boot kreiert hat. Ich bewundere auch die Kostüme von DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM sehr. Diese Kostüme haben mir auch sehr bei der Recherche zu unserem Film geholfen.

Inwiefern haben die geholfen?

Angela Winkler, also die Figur Katharina Blum, war eigentlich meine Vorlage für die Rolle der Christa-Maria Sieland, weil das ein bescheidenes, feminines, zurückhaltendes, klares, lebendiges und sehr zeitgenössisches Kostüm aus der Originalzeit war.

Und eine besondere Kostümleistung aus der gesamten Filmgeschichte?

Jetzt aus der jüngsten Filmgeschichte hat mir BABEL sehr gut gefallen, weil es ein extrem authentischer und trotzdem extrem bildbewusster Film ist. Weil sie es geschafft haben, mit Menschen zu arbeiten, die noch nie vor der Kamera waren, ihnen ihre Authentizität zu lassen, und weil die Schauspieler fließend reingekommen sind, sodass es zu einem großen, stimmigen Ganzen geworden ist. Großartig finde ich auch ASPHALT COWBOY [MIDNIGHT COWBOY Anm. d. Red.] von John Schlesinger. Ann Roth hat die Kostüme gemacht, ein großartiges, modernes Kostüm, in dem jede Figur zu einer Figur wird, die eigentlich unvergesslich bleibt.

Und jetzt ein Satz zum Ergänzen: Kino ist ...

Kino ist zwei Stunden Urlaub vom eigenen Leben.

Wenn Sie nicht Kostümbildnerin wären, welchen Filmberuf hätten Sie sich noch vorstellen können?

Kamerafrau. (Lacht) Weil ich auch beim Kostüm sehr in Bildern denke und das Kostüm für mich immer ein kleiner Teil aus dem Bild bleibt. Und weil die Kamerafrau die größten Chancen hat, das Bild wirklich zu sehen und zu machen.

Das Gespräch führte Tobias Kniebe. 

Gabriele Binder ist seit Anfang der Neunziger Jahre Kostümdesignerin für Film- und Fernsehproduktionen. Mit FRAUEN SIND WAS WUNDERBARES (1994) begann ihre Zusammenarbeit mit Sherry Hormann, mit der sie in Folge immer wieder zusammenarbeitete, zuletzt bei 3096 TAGE (2013).

Ihr Kostümbild für DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) von Florian Henckel-Donnersmarck brachte ihr eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis 2006 ein.

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