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Das rechthaberische Drehbuch

Warum Doris Dörrie das Drehbuchschreiben viel mühevoller findet als das Schreiben von Prosa

„Das Drehbuch verschwindet und verwandelt sich in Bilder. Das ist ein faszinierender Vorgang.”

Interview mit Doris Dörrie

Für das Publikum ist Doris Dörrie entweder eine Regisseurin oder eine Schriftstellerin oder beides. Aber nicht von ungefähr hat sie sich dafür entschieden, uns zum Beruf der Drehbuchautorin Rede und Antwort zu stehen. Das Schreiben ihrer eigenen Skripte ist für sie immer noch die Grundlage ihrer Inszenierungskunst. Begonnen hat sie mit Filmkritiken. Und die Literatur hat sie neben ihrer erfolgreichen Regiekarriere nie aus den Augen verloren: Seit 1987 veröffentlicht sie regelmäßig Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane, kleine Vignetten des Alltags, in denen sich existenzielle Erfahrungen offenbaren. Auch KIRSCHBLÜTEN – HANAMI ist eine solch täuschend einfache Geschichte, in der es um die großen Fragen des Lebens und des Sterbens geht.

Die Szene
Karl beklagt sich am Telefon bei seiner Schwester, dass der Vater sich nach dem Tod der Mutter so seltsam verhält. Er will, dass seine Schwester sich nun um den Vater kümmert. Plötzlich tritt der Vater ins Zimmer, der das Gespräch auf dem Balkon mitgehört hat, und bittet seinen Sohn, noch ein bisschen bei ihm in Japan bleiben zu dürfen.

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Wir wollen über zwei Szenen aus KIRSCHBLÜTEN sprechen. Können Sie kurz schildern, was ihnen passiert und wie sich die Szenen zum Inhalt des Films verhalten. Wie stehen sie da im Kontext des Films?

Das ist eine Szene, in der der Sohn sich darüber beklagt, dass er mit dem Vater eigentlich nicht mehr zurechtkommt und dass der Vater so seltsam ist. Er hat die Klamotten seiner verstorbenen Frau mitgebracht und das ganze Geld abgehoben. Aus der Sicht des Sohnes scheint er mit dem Tod der Mutter überhaupt nicht zurechtzukommen und bräuchte wohl, denkt der Sohn, eine Therapie. Er möchte sich jetzt nicht weiter um ihn kümmern und er bittet seine Geschwister zu übernehmen. Und so wie er das sagt, ist es auch verständlich, aber der Vater hört es eben. Er hört zu vom Balkon aus, was der Sohn nicht weiß. Er weiß gar nicht, dass er zu Hause ist. Und das ist natürlich eine unglaubliche Verletzung. Eine tiefe Verletzung, so wie der Sohn über ihn redet. Und wie man ihn versucht, abzuschieben. Wie so ein Möbelstück. Er kommt dann ins Zimmer und man weiß nicht recht, was passiert. Der Sohn erkennt sehr verdattert und entsetzt, dass sein Vater es mit angehört hat. Und dann bittet der Vater ihn, dass er noch ein bisschen bleiben darf, noch ein bisschen bei ihm bleiben darf. In Tokio bleiben darf. Aber da – und da haben wir auch lange beim Drehen drüber diskutiert, wie man das Spielen soll – da ist die Beziehung zwischen dem Sohn und dem Vater eigentlich in dem Moment auch sehr schwer angeschlagen. Vielleicht nicht für immer zerrüttet, aber doch so, dass sie sich gar nicht mehr so wirklich herzlich in den Arm nehmen können danach. Das tun sie zwar, auch aus Hilflosigkeit bietet der Sohn eine Umarmung an. Aber da ist ein Punkt erreicht, der ist nicht mehr so schnell zu kitten. Also das ist auch etwas, was dem Vater einen großen, großen Schlag versetzt. Und danach wendet er sich anderen Menschen zu. Dann kommt diese erste Kontaktaufnahme mit der Tänzerin. Und das ist von ihm ein großer Schritt. Raus aus seiner Ursprungsfamilie, auf jemanden zu, der im Alter so ähnlich ist wie seine eigenen Kinder. Aber ganz fremd ist, jemand völlig anderes. Und dann entsteht eben diese Umkehrung in der Geschichte, dass ein fremdes junges Mädchen sehr viel mitfühlender, sehr viel wärmer und herzlicher ist mit ihm als seine eigenen Kinder.

Diese Abwendung haben Sie im Drehbuch ja schon vorbereitet. Es gibt schon einen Vorläufer dieser Bewegung, nämlich die Freundin der Tochter.

Ja, das stimmt. Er begegnet zwei Mal Figuren mit großem Mitgefühl, die nicht aus der eigenen Familie kommen. Und das ist einmal Nadja Uhl, die die Freundin seiner Tochter spielt und dann das zweite Mal das Mädchen in Japan.

Wie ist der Bogen dieser ersten Szene, der Telefonszene beim Schreiben entstanden?

So etwas weiß ich immer gar nicht. [Lacht.] Wie der Bogen entsteht.... Ich weiß halt, was ich brauche beim Schreiben. Ich weiß, dass ich diese Umkehr brauche, dass ich diese Abweisung des Sohnes, diese Zurückweisung des Vaters durch den Sohn brauche. Das weiß ich und versuche dann, sehr klar immer bei den Personen zu bleiben. Was sie in dem Moment spüren und was der Sohn für sich braucht. Der braucht wieder seine Wohnung, der will wieder allein sein. Der kann nicht auf so engem Raum so lange mit seinem Vater leben. Das hat er auch vorher schon mal gesagt. Das ist schwierig für ihn. Für beide, aber für den Sohn ganz besonders. So eng wieder mit seinem Vater zusammen zu leben! Und deshalb verstehe ich den Sohn sehr gut, dass er den Vater auch wieder los sein möchte. Und in dem Moment, wo ich mich dem Vater zuwende, verstehe ich den Vater sehr gut. Für mich ist schon die Identifikation mit allen Figuren und ihren Motiven entscheidend beim Schreiben. Und Szenen zu schreiben, die nur zielgerichtet auf die Dramaturgie sind – ohne jetzt die einzelnen Figuren auch immer wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen –, das widerstrebt mir. Ist mir auch zu langweilig. Das gibt es ja häufig, dass etwas komplett nur plot-orientiert ist und wo die einzelnen Charaktere nur als dramaturgische Platzhalter funktionieren. Ich lasse den Personen immer noch den Raum. Auch wenn ich vorher weiß, was ich brauche, schau ich nochmal, was die Personen eigentlich wollen. Und dann kann es sein, dass die Geschichte sich anders entwickelt.

In der Folgeszene, also dieser Bewegung zu einem anderen, fremden Menschen hin, tritt Rudi meiner Ansicht nach aber auch das Vermächtnis seiner Frau an.

Das ist die erste Bewegung dahin, dass er versucht, rauszufinden, was hat meine Frau eigentlich bewegt, was wollte sie denn immer mit diesem komischen Butoh-Tanz? Was war das denn eigentlich? Das ist die erste Bewegung dahin, ja.

Rudi ist zu Beginn des Filmes ja sehr eingefahren, er mag keine Abenteuer, oder mal etwas anderes tun. Welche Entwicklung macht er im Verlauf des Films, von dem Moment an, wo er in Tokio ist?

Naja, ich kann das gar nicht so abspalten. Japan und Deutschland – das sind zwei Teile einer Geschichte. Und in der ersten Dreiviertelstunde ist es die Perspektive seiner Ehefrau, aus der die Geschichte erzählt wird. Ich habe da auch etwas gemacht, was man niemals tun sollte: Eine seiner Hauptfiguren umzubringen. Das ist sehr gefährlich. Denn wenn man das tut, läuft man Gefahr, dass der Zuschauer die Hauptfigur so vermisst, dass er nicht bereit ist, auf eine zweite umzuschalten und einzusteigen auf eine andere Figur. Und dass er von dem Moment an aussteigt. Also war die Herausforderung schon, zwei Personen zu haben, die so stark sind, dass man das wagen konnte, die eine umzubringen und mit der anderen dann weiterzumachen. Also einen kompletten Perspektivwechsel zu machen. Und von daher ist die Sicht auf die Frau im zweiten Teil etwas, was immer mitspielt, immer mitläuft. Wie er seine Frau auch wieder neu entdeckt und neu erlebt, obwohl sie eben nicht mehr am Leben ist. Und der erste Teil ist aus ihrer Perspektive erzählt, wie sie ihn sieht. Wie sie versucht, ihn zu beschützen. Sie weiß, dass er todkrank ist und sie versucht, ihn vor dem Wissen um sein eigenes Schicksal zu schützen. Was ja auch eine sehr ambivalente Sache ist. Ob das gut ist oder nicht, sei dahingestellt!
Und sie spielt im zweiten Teil, obwohl sie nicht mehr am Leben ist, doch sehr stark mit. Weil er sie für sich wieder zum Leben erweckt. Er versucht, eine Kommunikation herzustellen mit seiner Frau, die er, als sie noch am Leben war, gar nicht mehr hatte. Und versucht, im Inneren einen Dialog mit seiner toten Ehefrau aufzunehmen. Und das schafft er! Und wird dadurch auch wieder seltsam lebendig. Also er verändert sich so stark, wie er sich die letzten 25, 30 Jahre nicht mehr verändert hat. Es ist eigentlich eine Geschichte, wenn man es etwas abstrakter formulieren will, über einen geglückten Trauerprozess oder die Integration des Verstorbenen in die eigene Person.

Er gewinnt viel hinzu, finde ich.

Ja, er wird lebendig. Er bekommt seine Frau zurück. Zwar nicht als lebendige Frau an seiner Seite, aber als inneren Dialog bekommt er sie zurück.

Es gibt eine Art Definition für das Drehbuchschreiben: Die Dinge, die unter der Oberfläche sind, konkret zu machen.

Na, das ist „Show, don’t tell!” Ja, das fällt uns Europäern immer schwer.

Was kommt in diesen beiden Szenen zur Oberfläche sozusagen?

Ach, das ist jetzt gar nicht so verborgen. Das klingt so, wie Sie es sagen, als müssten die Dinge sehr tief unten schlummern, um dann an die Oberfläche zu steigen. In diesen beiden Szenen ist es eigentlich schon sehr stark vorbereitet. Also dass der Sohn es nicht mehr schafft, mit seinem Vater zu leben, das ist zuvor schon ziemlich sichtbar. Da gibt es vorher eine Szene, da kommt er nach Hause abends und freut sich sehr, dass sein Vater nicht da ist. Und dann ist der Vater doch da und sitzt auf dem Bett. Darauf wartet man schon auch, dass es da einen Konflikt gibt zwischen den beiden, dass sie nicht mehr zusammen leben können. Und bei dem Vater… mmmh, ob da jetzt etwas anderes an die Oberfläche kommt, als das, was man schon vorher wusste – dass er nicht weiß wohin, dass er sich einfach nirgendwohin mehr retten kann, weil er zu Hause in seinem Haus im Allgäu so mutter-seelen-allein ist –, er drückt es hier nochmal aus. Er sagt es das erste Mal. Und ich glaube, was einen sehr rührt – also insgesamt ist es ja erstaunlich, wie sehr dieser Film die Leute gerührt hat –, dass er so schlicht und fast kindlich den eigenen Sohn bittet, dass er bei ihm bleiben darf. Also eine Umkehr der Rollen. Wie ein Kind seinen Vater bittet oder seine Mutter bittet, so bittet er jetzt seinen Sohn.

Ja, ich kriege fast Tränen in die Augen, wenn ich an seinen Tonfall denke…

Ja. Ganz viele Leute, wenn sie anfangen, von dem Film zu erzählen, fangen sofort an zu heulen. Das ist aber auch besonders Elmar Wepper, der diesen Ton so genau trifft.

Wenn wir jetzt den Schritt zur zweiten Szenen machen, da gibt es ein Element fast des Echos: das Telefon. Wie ist das entstanden? In der einen Szene gibt es das Telefon, das belauscht wird, und in der anderen dieses Requisit. Der Film arbeitet ja sehr stark mit Requisiten, Sie greifen sehr viel auf Dinge zurück. Wie ist das im Drehbuch entstanden?

Das ist ein erzählerisches Motiv der Mutter. Und das ist auch autobiographisch. Ich habe drei Schwestern und meine Mutter telefoniert sehr viel mit ihren vier Töchtern. Und das Telefon war immer ganz wichtig, um Verbindung zu halten. Und sie, die Mutter, ist eben angewiesen auf das Telefon, um überhaupt noch etwas von ihren Kindern zu hören. Die Kommunikation in dieser Familie ist sehr gestört und sie versucht, über diese Telefongespräche wenigstens ein wenig Kontakt zu halten. Und beschwert sich auch bei den Kindern, dass sie untereinander so wenig Kontakt haben. Dass sie nicht miteinander sprechen oder telefonieren. Die wohnen ja auch an verschiedenen Orten. Also ist das Telefon eigentlich ein Synonym für Kommunikation bzw. gestörte Kommunikation in diesem Film. Und dass dann die Butoh-Tänzerin dieses Telefon benutzt als Requisit, um mit ihrer verstorbenen Mutter Kontakt zu halten – das ist wirklich als Bild benutzt –, das passt eben sehr gut da rein. Und dieses rosa Telefon hat wieder eine autobiographische Bedeutung: Als ich in Japan war, da war meine Tochter so vier, fünf – das ist schon etwas länger her, etwa 15 Jahre –, da gab es eben immer diese rosa Telefone, wie so kleine rosa Elefanten, in Japan. Und ich musste sehr oft sehr dramatische Telefongespräche mit Deutschland führen und war immer angewiesen auf diese rosa Elefanten. Da musste man auch endlos Münzen reinstecken, damit man überhaupt kurze Zeit mit Deutschland telefonieren konnte. Und es war dann gar nicht so einfach, 15 Jahre später noch einen rosa Telefonhörer zu finden, denn diese Telefone gibt es auch in Japan nicht mehr.

Es gibt eine Formel von François Truffaut, der sagt: Ein Drehbuch ist ein Glücksversprechen. Stimmen Sie damit überein? Ist es das für Sie, wenn Sie es von sich selbst bekommen?

Ein Drehbuch ist eine schwierige Angelegenheit. Ich finde Drehbuchschreiben viel schwieriger als Prosa. Ich schreibe ja auch viel Prosa, Kurzgeschichten und Romane. Eigentlich zur Erholung von den Drehbüchern. Denn in den Drehbüchern ist ja das Problem, dass man mit Sprache versucht, etwas auszudrücken, was dann nachher keine Sprache mehr ist. Außer den Dialogen verschwindet ja alles und verwandelt sich in etwas anderes. Und da auch immer wieder die Klappe zu halten und nicht zu reden. Auch im Drehbuch sich immer wieder zurückzuhalten und zu schauen, was kann ich zeigen und wo brauche ich nicht darüber zu sprechen – das ist das Schwierige und das Kunstvolle, glaube ich auch, am Drehbuchschreiben. Also eigentlich Sprache immer wieder zu vermeiden und zurückzunehmen und durch Bilder zu ersetzen. Auch in Ellipsen ganz anders zu erzählen. Auch in den Dialogen, das was wichtig ist, eigentlich nicht auszusprechen. Es ist so ein sadomasochistischer Vorgang [Lacht.] – Sprache zwar zu benutzen im Drehbuch, natürlich, und gleichzeitig aber immer zu versuchen, sie durchs Bild zu ersetzen. Für später. Und das ist schwer. Und es ist wahnsinnig schwer, weil man natürlich irgendwann immer auch wieder darauf reinfällt, dass Sprache an sich existiert, weil es ja das Mittel des Ausdrucks ist im Drehbuch. Und dann fängt man an zu quatschen. Das aber mag Film nicht. Film mag kein Gequatsche! Film orientiert sich immer an den Bildern. Und dieses „Show, don’t tell!“, was die Amerikaner sehr, sehr gut können und was wir gar nicht so in unseren Genen haben wie die Amerikaner – die haben das anscheinend genetisch schon sehr viel besser drauf –, das ist eben immer wieder der Sprache zu misstrauen und dem Bild zu vertrauen.

Es gibt einen schönen Satz von Pasolini: „Drehbuchschreiben ist wie Schreiben auf brennendem Papier.“

Ja, das Papier verschwindet. Und verwandelt sich in etwas anderes. Es verwandelt sich in Licht, wenn man so will. Gut, der Blick zurück zum Projektor. Es verwandelt sich in Licht und damit in Bilder. Das ist ein sehr faszinierender Vorgang. Es ist auch ein Vorgang, hinter dem man sich ganz gut verstecken kann. Ich habe nicht umsonst zuerst Drehbücher geschrieben und erst später Prosa. Zumindest Prosa, die ich veröffentlicht habe. Weil das auch ein schöner Vorgang ist, wenn man schüchtern ist wie ich, dass sich dieses Papier dann auflöst. Es ist nicht mehr da. Und es gibt Schauspieler, die diese Sätze sprechen, aber es ist auf dem Papier nicht mehr wirklich vorhanden. Das ist großartig, wenn man sich als Autor auch verstecken will.

In diesem Film ist das Ambiente der Schauplätze sehr präsent. Sei es in Berlin, an der Ostsee, oder in Tokio. Es ist ein Film, der die Figuren sehr stark in ein Ambiente integriert. Wie sehr bereiten Sie so etwas im Drehbuch vor?

Wenn Sie sich das Drehbuch anschauen, ist es unglaublich lapidar. Das liegt natürlich daran, dass ich immer weiß, wie ich das drehen will. Dass ich mich nicht lange aufhalten muss mit Beschreibungen. Ich finde auch beim Drehbuchlesen Beschreibungen sehr mühsam. Je prägnanter und kürzer ein Drehbuch ist, umso mehr hat man als Leser eine Chance, dieses Gefühl zu erwischen, was hoffentlich dann beim fertigen Film entsteht. Also dieses Glücksversprechen. Lange Texte schmeißen einen da immer wieder raus, finde ich. Und deshalb sind meine Drehbücher extrem kurz, extrem lapidar. So kurz, dass manche Produzenten sehr irritiert sind, weil es so wenige Seiten sind. Inzwischen kennen sie das schon. Aber manchmal gibt es immer noch Diskussionen darüber, wie kurz das dann aussieht. Es ist wirklich immer nur ein Satz. Oder weniger, ein Wort: Büro. Und dann kommt der Dialog oder die Situation oder Ostsee. Dann weiß ich, dass ich genau dieses blaue Licht über dem blauen Wasser an der Ostsee erwischen möchte. Wie ich es dann zum Glück auch erwischt habe, wenn der Vater von hinten vor der Ostsee steht – wir sehen ihn von hinten – und er steht einfach nur da. Und es passiert nichts. Und die Ostsee war dann tatsächlich auch genau so ruhig und glatt, wie es vorher im Text vorkommt. Wie ich es mir erhofft hatte! Glück gehabt! [Lacht.]

Also Sie sehen viel beim Schreiben?

Ja. Ich bin ein großer Verfechter der Theorie, dass gutes Schreiben bildhaftes Schreiben ist, weil sinnliches Schreiben. Das ist in der Literatur auch so. Das ist natürlich, je sinnfälliger ein Bild beschrieben ist, oder eine Aktion oder auch eine Emotion beschrieben ist, umso mehr haftet es uns im Gedächtnis. Weil wir uns eigentlich nur das merken, was wir uns mit unseren fünf Sinnen merken können. Wir können uns schwer abstrakte Dinge merken. Wir können uns deshalb auch schwer Dialoge merken. Aber wir können uns Bilder merken. Und wenn man Zuschauer, die aus dem Kino kommen hört, wie sie über Filme reden, dann reden sie ja immer davon, wie etwas war. Und wie der dann in das Zimmer gekommen ist. Und wie dann… Es ist immer wie, wie, wie! Denn das merkt man sich und darauf reagieren wir auch physisch, auf das Wie.

Die Szene, in der Rudi, das erste Mal der jungen Tänzerin begegnet, ist zwar nicht die erste Szene in dem Park mit den blühenden Kirschbäumen, aber irgendwie kommt da ja etwas zusammen. Also Aufblühen und die Bewegung, die innere Bewegung des Vaters.

Das war das Thema für mich, das innere Thema für den ganzen Film. ‚Hanami‘ heißt ‚die Kirschblüten anschauen‘, betrachten. Und der Sinn dieses Betrachtens ist, dass einem klar wird, dass alles vergänglich ist. Das ist der Sinn. Und da, in diesem Bewusstsein für Vergänglichkeit, Schönheit zu entdecken. Oder andersherum, sich darüber klar zu werden, dass die Schönheit nur existiert, weil sie vergänglich ist. Wenn alles immer so wäre, wenn es immer die Kirschblüte wäre, dann würden wir sie auch nie als schön wahrnehmen. Das war das Zentrum für mich beim Schreiben. Ich bezeichne es auch oft als ‚schwarzes Loch‘, also das, was so wirklich in der Mitte einer Geschichte ist oder tief unten drunter ist. Da muss man auch vorsichtig sein, dass man es nicht zu genau benennt. Denn dann kann es einen auch sehr blockieren. Und auf der anderen Seite, wenn man nicht weiß, um was es eigentlich ganz tief unten drunter geht, dann fällt das Schreiben auch sehr schwer oder es wird sehr beliebig.
Und wenn man das weiß – und hier wusste ich es zum Glück sehr genau, um was es eigentlich geht –, dann dient jede Szene auf verschiedenen Ebenen der Beschreibung dieses großen dunklen Lochs, dieses schwarzen Lochs, diesen Geheimnisses in der Mitte.

Das ist interessant, dass wir beide zwei Deutungen für die Kirschblüte haben können und beide passen. Für mich steht die Blüte für Neuanfang. Und Sie sehen dabei gleich schon die Vergänglichkeit mit.

Das ist letzten Endes für mich ein und dasselbe. Das ist schon auch strikter Zen, wenn man so will. Diese Blüte hat nur eine Aufgabe. Sie hat die Aufgabe, sich in ihrer ganzen Pracht zu zeigen. Und das gilt hier eben auch für die Figur von Rudi. Sich noch einmal so in allem, was er sein kann, zu zeigen oder sich selbst zu erfahren. Mit allem, was noch in ihm schlummert. An Möglichkeiten und an Verständnis und an Mitgefühl und, und, und, bevor er selber auch stirbt.
Und da ist die Vergänglichkeit auch wieder da. Also dass jeder eigentlich aufgerufen ist, aufzublühen, so sehr er nur kann. Und auch wirklich das zu werden, was er vielleicht wirklich ist. Das war das Ziel für diese Figur. Und das ist eben etwas, was ihm nie passiert ist. Er hat sich sehr schnell einmauern lassen in das, was er dachte, was er so ist. Und mehr wollte er dann auch gar nicht. Aber sein Potenzial – so wie das Potenzial von jedem von uns – ist viel größer. Und deshalb die Blüte. Klar, noch einmal ‚Tusch‘ machen, um wirklich zu zeigen, was man sein kann.

Wir sprachen eben darüber, dass Schreiben auch etwas Bildhaftes für Sie hat: ist es für Sie hilfreich, wenn Sie Schauspielergesichter beim Schreiben vor ihrem inneren Auge haben?

Ich mache das nie! Ich hüte mich sehr stark davor, für Schauspieler zu schreiben. Weil ich ja nicht unbedingt damit rechnen kann, dass sie es dann nachher spielen wollen oder dass sie dann vielleicht eine andere Rolle angeboten bekommen oder dass irgendetwas passiert und es nicht sie sein werden in den Rollen. Damit würde dann alles für mich zusammenstürzen, wenn ich es auf sie hingeschrieben hätte. Ich finde es andersherum als Prozess auch interessanter, wenn es dann so passt wie jetzt zum Beispiel bei Rudi und Elmar Wepper. Und man diese Figur nimmt und sie ausfüllen kann, als wenn man sie vielleicht auch schon limitiert hat, weil man nicht sehen kann, zu was dieser Schauspieler auch noch imstande wäre. Ich bin nicht so sicher, ob ich so aus dem Stand so eine Szene geschrieben hätte wie ‚Rudi tanzt vorm Fuji in Kleidern seiner Frau mit dieser Clownsmaske, mit dieser Butoh-Maske.‘, wenn ich jetzt immer an Elmar Wepper gedacht hätte. Anders herum, als ich es geschrieben hatte, habe ich gedacht: Ja, das kann Elmar. Der kann das. Aber es ist etwas anderes als Vorgang. Das ist eine andere Herausforderung.

Ich habe auch gedacht, das ist ganz wunderbar, wie Gesichter, die uns Jahrzehnte im deutschen Fernsehen und im Kino begleitet haben,  wie die auf einmal ein ganz anderes Antlitz bekommen in diesem Film.

Ja, aber wenn wir vorher über die Blüte gesprochen haben: Ja, aber das war auch einer dieser unglaublichen Momente für alle, auch beim Drehen zu sehen, wie ein Schauspieler wie Elmar Wepper plötzlich etwas macht, was er sonst nicht gemacht hat. Sich so komplett zu verwandeln in diesem Tanz vor dem Fuji, dass wirklich aus dem Stand alle Japaner – was ja sehr ungewöhnlich ist – geweint haben, als er diese Szene gespielt hat. Das war grandios, zu sehen, wie jemand so irrsinnig aufblüht.

Denken Sie manchmal nach dem Schreiben, wenn das Drehbuch fertig ist: Oh Gott, da habe ich mir aber jetzt für die Inszenierung keinen Gefallen getan!

Na klar, wenn man zum Beispiel so eine Szene schreibt wie ‚Ein älterer Mann tanzt in Frauenkleidern vorm Fuji‘ oder ‚In den Kleidern seiner Frau vorm Fuji‘, da kriegt man natürlich schnell kalte Füße. Und denkt: Oh Gott, wie soll man das inszenieren?
Und darüber versuche ich, beim Schreiben auch nicht nachzudenken, wie das dann nachher umzusetzen ist. Wie schwierig das sein wird. Wenn ich das täte, dann würde ich mir viele Dinge verbieten. Dann würde ich auch keine einzige Morgendämmerung reinschreiben, weil ich es hasse, früh aufzustehen – so geht es schon mal los. Dann würde ich keine Szenen im Winter schreiben. [Lacht.] Weil ich nicht gern draußen stehe und friere und, und, und…
Also da würde ich mich dann doch sehr, sehr schnell auf eine sehr bequeme, sichere Seite schreiben. Das geht nicht! Also ich muss alles schreiben, was ich dann nachher vielleicht auch gar nicht als Regisseur erfüllen kann. Und gerade diese Szene, von der wir gerade gesprochen haben, da habe ich dann schon auch Angst bekommen, als es fertig war und ich es irgendwie umsetzen sollte.

Was macht eine gute Drehbuchautorin aus? Welche Gaben braucht man dafür?

Das kann ich so allgemein nicht sagen, weil ich ja immer nur für mich selber geschrieben habe. Nein, ein einziges Mal – das war beim Film WANN, WENN NICHT JETZT – habe ich ein Drehbuch für jemand anderen geschrieben. Ich finde es sehr, sehr schwierig, über das Geschriebene zu kommunizieren mit anderen. Was aber natürlich einen guten Drehbuchautor ausmachen muss, dass er kommunizieren kann über das, was er geschrieben hat. Ich für mich finde das schwierig. Ich habe das mühsam lernen müssen in vielen, vielen Jahren, das diskutierbar zu machen. Denn es ist schon ein sehr, sehr innerer Prozess, in den man sich begibt beim Schreiben. Und den dann wieder zu veräußern, also zu verkaufen natürlich und damit kommunizierbar zu machen, ist ein sehr fragiler und auch kann ein sehr, sehr schmerzhafter Prozess sein. Natürlich – um nochmal wieder zurückzukommen – wenn man so eine Szene geschrieben hat ‚Mann tanzt in Frauenkleidern vorm Fuji‘ und viele Leute sagen: Um Gottes Willen, ist ja grauenvoll! Wie soll das denn gehen? Dann könnte ich als Drehbuchautor dem wenig entgegnen. Als Regisseur kann ich immer sagen: Okay, ich kriege das irgendwie hin. Als Drehbuchautor wird es dann schwierig. Wie soll ich das dann „beweisen“? Und das, finde ich, ist auch immer die Bruchstelle beim Drehbuchschreiben: Dass es ja jemand anderes verstehen muss, um es umzusetzen. Und wie kann ich etwas, was vielleicht sehr bizarr und sehr schräg und sehr innerlich ist als Entwicklung, wie kann ich das verständlich machen? Und wo werde ich dann auch wieder zu zahm oder zu vorsichtig, weil ich es nicht wirklich kommunizieren kann? Also diese Szene zum Beispiel wäre für einen Drehbuchautor sehr schwer gewesen, irgendjemand anderem zu kommunizieren. Wahrscheinlich die ganze Geschichte wäre schwer gewesen.

Wie schonungsvoll gehen Sie beim Inszenieren und beim Schnitt mit der Drehbuchautorin um?

Die Drehbuchautorin, die behandele ich sehr schlecht, wenn ich Regie führe. [Lacht.] Weil ich vieles auch ändere. Finde ich dann auch plötzlich bescheuert und blöd, was die Autorin geschrieben hat. Rufe die Schauspieler auch ständig dazu auf, das zu verändern. Vergesse auch oft das eigene Drehbuch. Ich gucke nicht mehr rein, weil ich denke, ich habe alles im Kopf. Und dann merke ich nachher, dass ich doch etwas ganz anderes geschrieben habe, als ich so gedacht hatte. Also ich gehe mit der Autorin relativ rücksichtslos um. [Lacht.]
Und manchmal rächt es sich, dass die Autorin dann doch ein bisschen länger nachgedacht hat, als ich das als Regisseurin so denke. Und ich dann nachher merke: Oh je, da stand doch noch etwas drin in der Szene, das habe ich jetzt vergessen zu inszenieren, weil ich gedacht habe, ich habe es im Kopf! Und dann merke ich, es hatte schon seinen Grund, warum das da stand. Das passiert mir auch manchmal. Das ist überhaupt etwas, dass man am Drehort sehr ruppig schnell wird. Und auch oberflächlicher, weil die Sachzwänge so groß sind. Und dann nachher merkt: Ach nee, das Buch hatte schon so seine innere Logik und seine inneren Beweggründe. Das kann man jetzt nicht so schnell abfertigen und sagen: Öh, das machen wir jetzt nicht, das ist blöd! Machen wir schneller, machen wir anders! Nee nee, da muss man sich manchmal auch zurückpfeifen.

Dann ist das Drehbuch etwas, was einen während des Drehs mit seinen Sachzwängen daran erinnert, weshalb man den Film eigentlich machen will?

Naja, das verschiebt sich sehr schnell, weil man dann zum Beispiel auch Schauspieler hat, wo man denkt: Okay, ich will es wegen dieser Schauspieler machen, weil die so wunderbar sind. Da ist so etwas Besonderes und Lebendiges! Das ist manchmal gefährlich, dass man das Drehbuch darüber vergisst. Ich bin jetzt gerade wieder in diesem Prozess, wo ich etwas schreibe und wo ich auch sehr darauf hoffe, dass die Schauspieler mich dann wieder erlösen vom Schreiben. Aber es ist schon auch erstaunlich, dass das Drehbuch am Ende meistens Recht behält – auch im negativen Sinne. Wenn etwas als Szene schon immer nicht funktioniert hat, dann funktioniert es auch nicht, wenn man diese Szene dreht. Und sie funktioniert dann auch nicht im Schnitt. Man kann sie dann ganz schwer an irgendeinem Punkt retten.
Und andersherum, wenn etwas schon auf dem Papier, beim Lesen funktioniert hat, funktioniert es dann in der Regel auch so weiter. Es hat doch auch etwas sehr Rechthaberisches so ein Drehbuch. Man kann es dann schwer so aus den Angeln heben. Man denkt oft: Ach, man kann das jetzt irgendwie alles anders machen, als das da stand. Das ist dann selten so, dass es wirklich funktioniert.

Was ist der beste Zugang zu diesem Beruf? Oder die beste Ausbildung?

Lange, komplizierte Antwort: Als ich studiert habe an der Hochschule in München, gab es niemanden, wirklich niemanden, der irgendetwas übers Schreiben uns beigebracht hätte. Gab es nicht! Und jeder war mehr oder weniger gezwungen, so selber irgendwas zu schreiben. Keiner wusste, wie. Und das haben wir alle für Autorenfilm gehalten, weil wir es mussten.
Mich hat das sehr bestürzt und ich war auch sehr hilflos. Ich habe dann aus purer Hilflosigkeit angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben über die Figuren, von denen ich erzählen wollte. Weil ich nicht wusste, wie ich diese Leute von innen kennenlerne und dann von außen beschreibe für ein Drehbuch. Also es war sehr, sehr naiv und sehr simpel gedacht. So habe ich dann in diesen Kurzgeschichten diese Figuren kennengelernt. Und wusste dann, nachdem ich sie kennengelernt hatte in dieser Prosaform, wie ich sie von außen beschreibe, wenn sie einen Film erleben. Das war so mein Weg, um mich da heran zu schleichen. Und ich habe tatsächlich für alle Filme sehr lange immer Kurzgeschichten geschrieben vorher. Auch für verschiedene Figuren verschiedene Kurzgeschichten. Dadurch habe ich dann für mich gelernt, was im Drehbuch funktioniert, was nicht, wie viel ich wissen muss über jemanden. Das war mein Weg.
Und als dann – mal kurz 20 Jahre später, glaube ich; 1996, ja, waren fast 20 Jahre später – die Filmhochschule München mich gefragt hat, ob ich Drehbuchschreiben unterrichten möchte – und es immer noch keinen gab, der da etwas übers Schreiben erzählt hat –, da habe ich gedacht: Okay, das mache ich, denn so geht es nicht weiter! Das war der Grund, warum ich angefangen habe zu unterrichten. Das mache ich jetzt ja auch schon wieder ziemlich lange. Und inzwischen weiß ich immer weniger, ob man es wirklich jemandem beibringen kann. Man kann schon viele handwerkliche Dinge lernen. Aber das Schreiben an sich, als Impuls oder als Notwendigkeit – den ich für mich habe: ich muss schreiben, sonst bin ich unglücklich –, das kann man natürlich niemandem beibringen.

Wer ist der engste Partner, der wichtigste Ansprechpartner für den Drehbuchautor? Außer dem Regisseur.

Ja, das bedauere ich. Ich habe niemanden. Ich habe wirklich niemanden beim Schreiben. Ich habe dann in der Produktionsphase inzwischen meine langjährige Regieassistentin, ‚associate producer‘. Auch Co-Autorin beim Fernsehen, wir haben eine Fernsehserie zusammen geschrieben. Aber für die Kinofilme habe ich wirklich den ganzen Schreibprozess über niemanden. Was ich sehr, sehr bedauere. Aber ich habe nie jemanden gefunden. Auch keinen kreativen Produzenten, wie das immer so heißt, mit dem ich wirklich diesen sehr schwierigen und inneren Prozess vom Drehbuchschreiben diskutieren könnte. Ich bin da schon sehr allein mit dem Schreiben.

Welche Drehbücher oder Drehbuchautoren bewundern Sie? Oder welche Filme haben ein besonders gutes Drehbuch?

Ach, da gibt es bei mir viele. Mein Erweckungserlebnis war ‚The New American Cinema‘ – also so Filme wie FIVE EASY PIECES, THE KING OF MARVIN GARDENS, CISCO PIKE –, die ich als Studentin in Amerika gesehen habe und sofort zusammengebracht habe mit der Prosaliteratur aus der Zeit. Die ersten Kurzgeschichten von Raymond Carver kamen damals heraus. Das passte sehr zusammen und da habe ich eine literarische Form entdeckt, die ich sehr, sehr faszinierend fand. Und auch eine Art zu erzählen. Und gleichzeitig aber eben auch die Klassiker. Billy Wilder zum Beispiel ist für mich immer wieder ein Quell der Inspiration und der Einschüchterung. Weil das einfach so unglaublich gut geschrieben ist. Und I.A.L. Diamond. Was die beiden zusammen gemacht haben, ist wirklich immer wieder phantastisch.
Aber da gibt es viele Vorbilder. Auch die Drehbücher von Ozu zusammen mit seinem Partner, die haben auch immer zu zweit geschrieben. So Leute wie Paul Haggis in der kürzeren Vergangenheit. Paul Schrader. Aber ich habe das auch immer sehr gemischt mit Prosaautoren. Ich habe mich dann doch auch immer wieder sehr stark an Prosaautoren orientiert. An amerikanischen vor allem, die eben auch sehr filmisch schreiben. Ob das jetzt Leute sind wie John Ford… John Ford, sage ich schon. [Lacht.] Richard Ford! Oder Alice Munro, die Meisterin der Kurzgeschichte, Kanadierin. Das sind alles für mich Filme. Aber auch jemand wie Tschechow hat Filme für mich geschrieben. Tolstoi ist für mich ein Filmautor. Das liegt an der Art und Weise, Dinge zu beschreiben, die eben sehr sinnlich, sehr sinnhaft, sehr bildhaft beschrieben sind.

Was ist für Sie Kino?

Kino ist für mich Bewegung. ‚Motion‘. ‚Motion Pictures‘. Und zwar ist es die Bewegung. Einmal die Bewegung auf der Leinwand, die Bewegung der Figuren, sie müssen sich ja irgendwie bewegen. Irgendetwas müssen sie immer machen, das heißt, sie müssen sich bewegen.
Und gleichzeitig ist es aber auch die Bewegung, die beim Zuschauer entsteht. Und im besten aller Fälle – und das ist natürlich immer das Ziel, was ich anstrebe, was wir wahrscheinlich alle anstreben – bewegt sich etwas im Inneren des Kinozuschauers, wenn er einen Film sieht.
Was sich da so genau bewegt, ist erst einmal wurscht! Also ob das jetzt Bewegung durch Freude, durch Trauer, durch Denken, durch alle möglichen Dinge ist – das ist egal! Hauptsache, es bewegt sich etwas! Und dadurch, durch diese innere Bewegung entsteht Energie. Aus dem Kino mit mehr Energie rauszukommen, als man hatte, als man reingekommen ist, das ist für mich das Ziel und das ist für mich Kino. Reinzugehen in einen dunklen Raum, sich hinzusetzen und eigentlich auch innerlich sehr eng zu sein und sehr eingekapselt zu sein, in seinem eigenen kleinen Leben und mit seinen eigenen Problemen und der eigenen kleinen Welt – und dann so eine Öffnung zu erfahren durch das, was auf der Leinwand passiert. Sich mit etwas zu verbinden und dadurch innerlich so bewegt zu werden, dass man ‚Huh, hah..‘ [sie atmet ein und aus, Anm. d. Red.] einfach eine Energie hat. Und egal, wo diese Energie entsteht – ob sie im Herzen entsteht, im Kopf oder auch im Magen – etwas, was sich dann so äußert, dass man mehr Bewegung und mehr Energie wieder für das eigene Leben hat.

Letzte Frage: Wenn nicht dieser, welcher andere Filmberuf?

Keinen. Kein anderer Beruf beim Film ist so luxuriös und gut wie der Beruf des Regisseurs. Ich kann mir keinen anderen vorstellen. Außer Drehbuchautor, klar. Aber Sie meinten jetzt einen anderen…

… als Drehbuchautor.

Naja, der Drehbuchautor, der so alleine vor sich hin arbeitet, das ist stellenweise ganz schön und aber eben auch sehr mühsam. Und für mich ist die Belohnung, dann den Beruf zu wechseln und Regisseur zu sein. Das ist die Belohnung für die Arbeit als Drehbuchautor!

Das Gespräch führte Gerhard Midding. 

 

 

Doris Dörrie, geboren am 26. Mai 1955 in Hannover, ging nach dem Abitur in die USA, wo sie Schauspiel und Film am Drama Department der University of the Pacific im kalifornischen Stockton studierte, gefolgt von einer Studienzeit an der New School of Social Research in New York. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1975 begann sie ihr Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München. 

Nach dem Studienabschluss arbeitete Dörrie als freie Mitarbeiterin für verschiedene Fernsehanstalten. Ihr Beziehungsdrama MITTEN INS HERZ, ursprünglich als Fernsehspiel für den WDR produziert, wurde 1983 auf den Filmfestspielen Venedig gezeigt und erhielt beim Filmfestival Max Ophüls Preis 1984 den Publikumspreis sowie einen Förderpreis. Im gleichen Jahr entstand, nach einem bereits 1980 geschriebenen Drehbuch, IM INNEREN DES WALS: Die Mischung aus Road Movie, Jugendgeschichte und Familientragödie erhielt positive Kritiken und etablierte Dörrie als vielversprechende Nachwuchsregisseurin. 

1985 gelang ihr der große Durchbruch mit der Komödie MÄNNER. Die Geschichte über zwei gegensätzliche, rivalisierende Männer avancierte sowohl in Deutschland als auch im Ausland zu einem überragenden Publikumserfolg, machte die Hauptdarsteller Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht zu Stars und gewann vier Deutsche Filmpreise, darunter der Drehbuchpreis für Dörrie selbst. Bei der Kritik stieß der Film hingegen auf ein geteiltes Echo.

Für Aufsehen sorgte Doris Dörrie 1991 mit der Krimikomödie HAPPY BIRTHDAY, TÜRKE, nach dem Bestseller von Jakob Arjouni. Die im Stil klassischer Film noir und französischer Kriminalfilme inszenierte Geschichte über einen türkischstämmigen Privatdetektiv, der im Frankfurter Bahnhofsmilieu zwischen die Fronten von Drogenmafia und Polizei gerät, erhielt gute Kritiken, zog rund 300.000 Zuschauer in die Kinos und brachte dem Hauptdarsteller Hansa Czypionka einen Bayerischen Filmpreis ein. 

Neben ihrer filmischen Tätigkeit veröffentlichte Doris Dörrie ab 1987 mit wachsendem Erfolg bei Kritik und Publikum auch Kurzgeschichten und Erzählungen. Bei ihrem Film KEINER LIEBT MICH (1993) griff sie dann auch auf Charaktere aus ihrer Kurzgeschichtensammlung "Für immer und ewig" zurück – mit Erfolg: Maria Schrader wurde für ihre Verkörperung einer 31-jährigen Frau in der Existenzkrise mit dem Bayerischen Filmpreis und dem Deutschen Filmpreis in Gold ausgezeichnet, der Film selbst erhielt einen Deutschen Filmpreis in Silber. 

Auch der episodenhafte, kunstvoll verschachtelte Ensemble-Film "Bin ich schön?", über höchst unterschiedliche Menschen an Wendepunkten ihres Lebens, basierte auf literarischen Texten Dörries. Während der Dreharbeiten, die im Frühjahr 1996 in Spanien stattfanden, verstarb Dörries Ehe- und Kameramann Helge Weindler, der kurz zuvor den Krebs besiegt hatte, an einer Hirnhautentzündung. Die Produktion wurde daraufhin abgebrochen und erst im Herbst 1997 fortgesetzt. Beim Bayerischen Filmpreis 1998 wurde Dörrie gemeinsam mit ihren Co-AutorenRuth Stadler und Rolf Basedow mit dem Drehbuchpreis geehrt.

Die Konflikte des Lebens thematisierte Dörrie auch in ihren beiden folgenden Kinofilmen. In "Erleuchtung garantiert" reisen die sehr unterschiedlichen Brüder Gustav (Gustav-Peter Wöhler) und Uwe (Uwe Ochsenknecht) nach Japan, um in einem Zen-Kloster ihre Midlife-Krise zu bewältigen. In "Nackt", der in den Wettbewerb des Venedig Filmfestivals 2002 eingeladen wurde, stehen zwischenmenschliche Beziehungen im Mittelpunkt: Drei befreundete Paare treffen sich zu einem gemeinsamen Abendessen, in dessen Verlauf Liebe und Freundschaft wiederholt auf die Probe gestellt werden. In einer kammerspielartigen Atmosphäre arbeitet Dörrie erneut mit einer Gruppe bekannter deutscher Schauspieler: So gehören Heike MakatschBenno FürmannJürgen Vogel undAlexandra Maria Lara zum hochkarätigen Ensemble. 

Nach der mit Alexandra Maria Lara und Christian Ulmen prominent besetzten Komödie "Der Fischer und seine Frau" (2005) wendete Dörrie sich als nächstes einem Dokumentarfilmprojekt zu: "How to Cook Your Life" über den kochenden Zen-Priester Edward Brownfeierte bei der Berlinale 2007 in der Sektion "Kulinarisches Kino" Premiere. Ein Jahr später wurde Dörrie erneut zur Berlinale eingeladen, diesmal in den Wettbewerb: "Kirschblüten – Hanami" erzählt von einem alternden Mann, der nach dem überraschenden Tod seiner Frau eine Japanreise unternimmt, wo es ihm gelingt, seine Trauer zu überwinden und einen Neuanfang zu wagen.

Die melancholische Geschichte erhielt von der internationalen Kritik glänzende Besprechungen und trat in den kommenden Monaten einen Siegeszug durch die internationale Festivalszene an. Hauptdarsteller Elmar Wepper erhielt den Bayerischen Filmpreis, den Deutschen Filmpreis sowie den Preis der deutschen Filmkritik. Mit "Die Friseuse" kehrte Doris Dörrie 2010 ein weiteres Mal auf die Berlinale zurück. In der Kiez-Komödie mit Gabriela Maria Schmeide in der Titelrolle geht es um eine übergewichtige Friseurin, die sich anschickt, dem schicken Geschäft einer überheblichen Frisiersalon-Betreiberin Konkurrenz zu machen. Anfang 2012 kam ihr nächster Spielfilm in die Kinos: "Glück", die Verfilmung einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach, erzählt von der Liebe zwischen einer illegalen Prostituierten und einem Punk in Berlin.

Im Jahr 2014 starteten gleich zwei neue Filme von Doris Dörrie in den

Kinos: die Mutter-Tochter-Komödie ALLES INKLUSIVE, nach ihrem eigenen

Roman, und der Dokumentarfilm DIESES SCHÖNE SCHEISSLEBEN, über eine

weibliche Mariachi-Band in Mexiko.

 

 

In Kooperation mit filmportal.de

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Doris Dörrie

2012-2014 Dieses schöne Scheißleben
Regie, Kamera, Drehbuch
2013/2014 alles inklusive
Regie, Drehbuch
2012 Der Bernd
Mitwirkung
2011/2012 Glück
Drehbuch, Regie
2009/2010 Die Friseuse
Regie
2010 Basho
Drehbuch, Regie
2007/2008 Kirschblüten - Hanami
Drehbuch, Regie
2007/2008 Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte
Mitwirkung
2006/2007 How to Cook Your Life
Drehbuch, Regie, Kamera
2004/2005 Der Fischer und seine Frau
Drehbuch, Regie
2003 Ein seltsames Paar
Regie, Adaption
2002/2003 Musen, Macht und Glamour - Die Welt der Maximilianstrasse
Mitwirkung
2001/2002 Nackt
Drehbuch, Regie
2000/2001 Björn oder die Hürden der Behörden
Beratung
2000 Bernd Eichinger. Wenn das Leben zum Kino wird
Mitwirkung
1999/2000 Zurück auf Los!
Darsteller
1999 Winke und Lächle!
Darsteller
1999
Drehbuch-Mitarbeit
1998/1999 Erleuchtung garantiert
Drehbuch, Regie
1997/1998 Bin ich schön?
hat_Vorlage, Drehbuch, Regie
1997 ...augenblick...
Regie, Sprecher, Mitwirkung, Kommentar, Drehbuch
1996 Hollywood, Germany - Die amerikanische Herausforderung
Mitwirkung
1994 Keiner liebt mich
hat_Vorlage, Drehbuch, Regie
1992/1993 Was darf's denn sein?
Regie, Drehbuch
1991 Happy Birthday, Türke!
Regie, Drehbuch
1990 Love in Germany
Regie, Drehbuch
1988/1989 Geld
hat_Vorlage, Drehbuch, Regie
1987/1988 Ich und Er
Adaption, Regie
1986/1987 Wann - wenn nicht jetzt?
Drehbuch
1986 Paradies
Regie, Drehbuch
1984/1985 King Kongs Faust
Darsteller
1984/1985 Im Innern des Wals
Drehbuch, Regie
1985 Männer
Regie, Drehbuch
1983 Mitten ins Herz
Regie, Drehbuch
1981/1982 Dazwischen
Regie, Drehbuch
1980/1981 Von Romantik keine Spur
Drehbuch, Regie
1979/1980 Soweit das Auge reicht
Script, Regie-Assistenz
1980 Katharina Eiselt, 85, Arbeiterin
Drehbuch, Regie
1979 Wilde Witwe
Darsteller
1978 Der erste Walzer
Regie, Drehbuch
1978 Alt werden in der Fremde
Drehbuch, Regie
1978 Hättst was Gscheits glernt
Regie, Drehbuch
1977 Der Hauptdarsteller
Darsteller
1977 Sylvesternacht
Regie
1976/1977 Ob's stürmt oder schneit
Regie, Produzent, Drehbuch, Produktionsleitung, Kamera-Assistenz
1977 Ene, mene, mink
Regie